Seit Ostern 1966 war ich Schüler am Darmstädter Gymnasium LGG, und, in meiner Erinnerung am gleichen Tag, wurde das Landesmuseum „mein Museum”. Ich bin damals bestimmt über Jahre mindestens einmal im Monat dort gewesen, ohne Eintritt zu zahlen und ohne eine bestimmte Besichtigungsabsicht. Das Museum als Universalmuseum mit Sammlungen aus zahlreichen Gebieten ergänzte ganz prächtig meine Gewohnheit, Lexikon zu lesen - als Universalmuseum bot es die gleiche Vielfalt von Fremden und Vertrautem, aus der sich mein Weltbild zusammensetzte. Auch wenn ich Darmstadt später nicht mehr täglich sah - 1972 flog ich aus der Schule und musste meine Karriere in der Provinz fortsetzen - habe ich das Museum weiter regelmäßig besucht.* Viel später habe ich übrigens Theo Jülich, dem Direktor, vorgeschlagen, die Eröffnung des Museums, die damals noch für Herbst 2013 geplant war, mit einer Sonderausstellung zu Georg Büchners Jubiläen zu verbinden, und zwar unter besonderer Berücksichtigung seiner universalen Geschwister. (Sie wissen es: mehr über die Geschwister Büchner und regelmäßig Neuigkeiten zur Familie Büchner in meinen Geschwisterblog). Die Intention, Georgs Büchners darmstädter und familiäre Bezüge in den Mittelpunkt der Präsentation zu stellen, war 2011 noch Konsens derjenigen, die über eine neue Büchnerausstellung nachdachten. Dass es dazu nicht gekommen ist, ist eine andere Geschichte. Dass aber die Universalität der Büchnerschen Interessen und die Universalität des Darmstädter Museums eine höchst verlockende Kombination bieten, bleibt meine feste Überzeugung, nicht zuletzt, weil ja genau dieses Museum und seine noch immer vorhandenen Ausstellungsstücke schon die Phantasie der Büchners angeregt haben. Der schreckliche „Christus in Emmaus” von Carel von Savoy zum Beispiel hat Georg Büchner und Alexis Muston tief beeindruckt.
In den letzten Jahren vor der Schließung hatte ich unvergessliche Stunden im Darmstädter Museum zusammen mit meiner 1996 geborenen Tochter. Ich hoffe, ich konnte ihr diese wunderbare, staunende Flanieren ein bisschen näher bringen - und es bricht mir immer noch fast das Herz, wenn ich daran denke, wie lange das in Darmstadt wegen der Umbauschließung jetzt nicht möglich war. Eine ganze Schülergeneration hat diese Chance verpasst, und das halte ich immer noch für unverzeihlich.
Als Ort von Sonderausstellungen übrigens kenne ich es aus der Vergangenheit überhaupt nicht. Die Event-Verwöhntheit, die uns immer dann in ein Museum führt, wenn es gerade mit oft aus der ganzen Welt zusammengeholten Ausstellungsstücken prunkt, hat ja durchaus zwei Seiten - und eine ist eben, dass das Sammlungsprinzip, für das es eigenständig steht, von den fremden Besuchern gar nicht wahrgenommen wird. Und ich falle natürlich immer wieder darauf rein, mir Kunstwerke in überfüllten Sonderausstellungen anzusehen, die normalerweise ganz bescheiden und wenig beachtet in ständig zugänglichen Dauerausstellungen hängen. Wäre es nicht bildender, für die Museen kostengünstiger und für uns stressfreier, anstelle der Kunstwerke die Besucherinnen reisen zu lassen? Natürlich ist es toll, wenn Beckmann-Bilder oder Picassos oder antike Großplastik oder oder aus New York, Paris, London, Athen usw. usf. zusammengeholt und ausgestellt werden können. Dennoch rege ich an (und kann ja vielleicht gelegentlich mal mit einem Vorschlag hier dazu beitragen), nicht nur Gebäude, sondern auch Kunstwerke „an ihrem Ort” aufzusuchen und sich so z.B. die Brücke-Maler, Rembrandt oder Piero della Francesca zur ganz eigenen Reise-Sonderausstellung zusammenzusortieren.
So. Und jetzt gehe ich los, mir angucken, ob alles ordentlich ausgepackt und am rechten Platz präsentiert wird!
Fotos vom „Kehraus” des Museums vor der Schließung im September 2008
*Es ist eine berechtigte Frage, ob ich vielleicht mit mehr Schul- und weniger Museumsbesuch am LGG hätte bleiben können; aber so sehr ich manche andere Wendung in meinem Leben bedaure, so wenig tut's mir darum leid.