Montag, 19. Januar 2015

Besichtigt und zu seicht gefunden - „Karl” im Landesmuseum Darmstadt

Das Darmstädter Landesmuseum habe ich hier ja schon mehrfach erwähnt. Gestern sind wir dort gewesen, um die erste Sonderausstellung nach der Wiedereröffnung zu sehen. „Karl - 1200 Jahre Mythos und Wirklichkeit” wollten wir nicht verpassen, die Ausstellung soll am 25.1. enden. Die Karl-Ausstellungen in Aachen und in Ingelheim haben wir leider verpasst. Zum moderaten Eintrittspreis von 6 € erhebt das Museum weitere 4 €; ein Besuch alleine der Sonderausstellung ist nicht möglich. Die Zahlung dieses zusätzlichen Einritts wird an der Kasse handschriftlich auf der Eintrittskarte vermerkt, dieser Eintrag wird am Eingang zum großen Saal kontrolliert. Die Schlange an der Kasse war so lang, dass ich mir den Versuch erspart habe, um eine seriöse Quittung für die erfolgte Zahlung zu bitten.

Vorab: den Besuch hätten wir uns sparen können: selten habe ich eine derart uninspiriert zusammengeschusterte Präsentation gesehen.

Bei den Eröffnungsfeierlichkeiten und -Publikationen wurde stets erwähnt, mit der Wiedergewinnung des großen Saales stehe jetzt endlich ein geeigneter Raum für Sonderausstellungen zur Verfügung.

Der große Saal des Landesmuseums am 13. 9. 2014 
Zum Überfluss meines Ärgers ist in der Sonderausstellung auch noch das Fotografieren verboten - das folgende, dennoch gemachte Foto wurde mir anonym übermittelt:

Erstnutzung des großen Saales durch Verkleinerung 


In den schönen, lichten, weiten Raum wurden kleine schwarze Besichtungs-Boxen gestellt, offenbar, weil eine andere Form des Lichtschutzes für das empfindliche Ausstellungsgut nicht gefunden wurde. Allerdings handelt es sich bei einem erheblichen Teil des Ausgestellten um Reproduktionen, Gegenstände des 19. und 20. Jahrhunderts sowie lichtunempfindliche Keramik- und Metall-Objekte. Eine einzige, dazu ausreichend große, Box für das empfindliche Material ließe sich sicher ansprechend gestalten und aufbauen; der große Rest hätte allerdings seine Beliebigkeit vor der Kulisse des Saales eingestehen müssen. 

Wünsche und Absichten der Ausstellungsmacher hat die lokale Presse brav übermittelt, ohne sich zu formaler oder inhaltlicher Kritik zu versteigen (online findet sich das leicht und wird daher hier mangels Bedeutung nicht eigens verlinkt...). Matthias Friedrich hat im Wiesbadener Kurier immerhin bemerkt: „Angesichts der Fülle der Themen und Motive erscheinen die 480 Quadratmeter Ausstellungsfläche im renovierten Großen Saal des Landesmuseums freilich als zu knapp, um vielen Fragen tiefer nachgehen zu können.” und Annette Krämer-Alig schrieb im Darmstädter Echo: „Dass es nicht leicht ist, den architektonisch wunderschönen „Großen Saal“ mit einer solchen Schau zu bespielen, wird schon beim Betreten der Schau klar.”

Welche Chancen wurden hier vergeben! Ich fürchte, das Kloster Lorsch, das Karl ja sicher besucht hat, wird in der Ausstellung nicht einmal erwähnt, die Präsentation einiger wirklich wunderbarer Handschriften hinter spiegelnden Vitrinenwänden auf zu niedrigen Podesten vergibt alles, was damit erreicht werden könnte, die Information, dass die unter Karl eingeführte Unziale von größter Bedeutung für ganz Europa war, wird mit keinem einzigen Beleg ERLÄUTERT und an keiner Stelle wird gegenübergestellt, wie vorher und nachher geschrieben wurde.  Und die Beschriftung! Weil ja schon mal die Boxen abgedunkelt sind, wurden die Texte, damit sie nicht auffallen, weiß auf schwarz und natürlich in serifenloser Antiqua gesetzt - spätestens seit sich Hans Peter Willberg (dessen Bedeutung in diesem wikipedia-Eintrag nicht ausreichen gewürdigt wird), mit Lesbarkeit der Typographie beschäftigt hat, dürfen solche Fauxpas nicht mehr passieren. Und damit der viele Text nicht so doll stört, sind die Buchstaben auch schön klein gesetzt und die Tafeln in Hüfthöhe der Betrachter angebracht. Welche Chance, gerade anlässlich der Präsentation der karolingischen Schriften eine Lehre für heute zu ziehen und verständlich zu machen, wurde damit vergeben! Einem noch älteren Herrn als mir, der sich beim Gehen bei dem Aufsichtführenden darüber beschwerte, antwortet der doch wirklich in all seine Hilflosigkeit, er habe schon viele dieser Klagen gehört, es sei ihm aber gesagt worden, die Beschriftung entspreche einer EU-Norm. Nun wird eine Klage ja nicht weniger bedeutsam, wenn ihr eine EU-Norm widerspricht (ganz im Gegenteil...), aber so idiotisch kann nun weder die EU sein, dass sie das als Norm vorgibt, noch eine Kuratorin, dass sie das akzeptiert.

Die Belege für die Wiederkehr Karls  in der Geschichte scheinen mir völlig beliebig zusammengetragen, vollständig sind sie sicher nicht, repräsentativ kamen sie mir auch nicht vor. Die großartige Karikatur von Wilhelm des ab dann I. Einzug 1871 in Paris als Wiedergänger Karls auf einem Schwein reißt es alleine halt auch nicht raus.

Mir war seit der ersten Ankündigung nicht klar, warum sich das wunderbare Darmstädter Museum mit einer Sonderausstellung schmücken wollte, die mit seiner nun wahrlich umfangreichen Sammlung gerade nicht besonders viel zu tun hat (ja, ich weiß, die Elfenbeintafeln stammen zum Teil aus Darmstadt...). Hier auf dem Dorf nennt man vergebliche Anstrengungen, den eigenen Rang nach oben zu heben, „mit den großen Hunden pissen gehen wollen”. Dabei hat sich in Darmstadt leider wer die Schuhe nass gemacht ...



Freitag, 9. Januar 2015

Je étais charlie

Ich spreche nicht französisch, und das Beste, was ich über meinen Umgang damit sagen kann, ist, dass ich „übersprochenes" oder untertiteltes Französisch ganz gut nachvollziehen kann. Ich bedaure das sehr.

Ich mag keine Comics. Fast immer sind mir gezeichnete Illustrationen beim Lesen einfach im Weg. Die Comics meiner Jugend waren Mickey Mouse, Donald Duck und Asterix. Ich ärgerte mich immer, wenn ich die teuren Hefte nach wenigen Minuten ausgelesen hatte - dass bisschen Text war ja schnell konsumiert. Wenn mir was davon in Erinnerung blieb, dann - Text.

Vielleicht ist das ein Schwäche. Ich fürchte jedenfalls, dass sich das für mich nicht mehr ändern wird. Wenn mich unvorhersehbare Umstände nicht in frankophone Verhältnisse begeben, werde ich mich auf französisch nicht mehr verständigen können, geschweige denn lesen. Und so lange noch ein bisschen interessanter deutscher Text zu lesen bleibt, werde ich meine Zeit nicht mit dem Angucken von gezeichneten Geschichten verbringen.


Es steht ausser jeder Frage, dass die Mörder von Paris trotzdem mich ganz persönlich angegriffen haben - und dass ich jede Gelegenheit ergreife, JEDE Form von Pressefreiheit zu verteidigen.

 Antje Schrupp hat getwittert:

Wer jetzt meint, alle müssten die Karikaturen von toll finden, hat das Konzept der Meinunsfreiheit auch eher nicht verstanden.

Genau.

Ich muss kein Freund von Comics sein oder von dem mir eher grobsachlächtig erscheinenden Humor der Redaktion von Charlie Hebdo. Ich muss einfach nur nachdenken um rauszufinden:

Die Mörder haben mich angegriffen.


Demo-Selfie

Am Donnerstag waren wir in Frankfurt unterwegs und sind dann natürlich um 19 Uhr dem Aufruf zu einer Solidaritätsversammlung an der Hauptwache gefolgt. 6 - 800  Menschen trafen sich und guckten betroffen-friedlich-feucht umher. Ich war überhaupt nicht überrascht, meine gute Freundin Christa, die ich wirklich fast ein Jahrzehnt lang nicht mehr getroffen hatte (shame on me) dort zu treffen. Das alleine hätte natürlich den Weg nach Frankfurt mehr als gerechtfertigt, und ich verspreche auch, dass ein nächstes Mal nicht wieder zehn Jahre lang dauern wird!


Hauptwache Frankfurt am 8.1.15 -
nur da sein, nicht diskutieren 


Die Demonstrationsform allerdings hat mir überhaupt nicht gepasst. Günter Anders soll auf die Aufforderung, irgendwo an einer Aktion „Schweigen für den Frieden” teilzunehmen, geantwortet haben „Schinkenbrötchen essen hätte mehr Effekt”. Christa wusste, dass die „Organisatorin” der Demo wünschte und vor Ort noch einmal betont habe, dass „hier nicht diskutiert, sondern Solidarität ausgedrückt werden” solle.

Ich halte Diskutieren für solidarischer und nutzbringender als Schweigen.

Heute Abend (9. 1.) bin ich

um 18 Uhr zum Solidaritätstreffen für Charlie Hebdo auf dem Darmstädter Friedensplatz

und es würde mich sehr freuen, dort mit vielen Menschen zu diskutieren - und nachdem ich mich an der Hauptwache nicht getraut habe, „Die Gedanken sind frei” anzustimmen, kriegen wir das ja vielleicht heute hin.


NACHTRAG vom 10.1.15:

Wie angekündigt war ich gestern dann auch bei der Versammlung in Darmstadt am Friedensplatz.

Das Darmstädter Echo berichtet hier mit einer ausführlichen Bildergalerie; das Alter der dort Befragten ist allerdings nicht representativ für die Anwesenden, die ich gesehen habe. Mir schien es in Darmstadt wie in Frankfurt ein Treffen der „Ü 50” zu sein.

Darmstadt, 9. 1. 2015: Solidarität mit Charlie Hebdo

Thomas Heldmann, Anna Laehdesmaeki, Oskar (unten, nicht im Bild),
solidarische DarmstädterInnnen und Ludwig IV, wie üblich unbeteiligt

Darmstadt, 9.1.2015: Solidarität mit Charlie Hebdo



Wenn es auch nicht bis zum Singen von „Die Gedanken sind frei” kam, so wurde doch immerhin „We shall not be moved” angestimmt, ergriff die Versammelten aber nicht wirklich.

Darmstadt, 9. 1. 2015: Solidarität mit Charlie Hebdo

Darmstadt, 9. 1. 2015: Solidarität mit Charlie Hebdo

Bürgermeister Reißer sprach unplugged und war nur
für die unmittelbar Umstehenden zu verstehen.


Einen ausführlichen eigenen Beitrag verdient die Frage, warum unsere Nachbarn bei vergleichbaren Treffen ziemlich selbstverständlich ihre martialische Nationalhymne sangen, was auch ganz bürgerlichen Demokraten hier in Deutschland überhaupt nicht in den Sinn kommt.

Zu den Waffen, Bürger,
Formt eure Truppen,
Marschieren wir, marschieren wir!
Unreines Blut
Tränke unsere Furchen! 
(Refrain der Marseillaise)




Freitag, 2. Januar 2015

„Hesse ist, wer Hesse sein will”

Ich will am ersten Werktag des Jahres nicht gleich so weit gehen, den amtierenden Ministerpräsidenten Hessens als politisches Vorbild vorzuschlagen.

Allerdings hat Volker Bouffier in seiner Neujahrsansprache einen großen Satz gesagt und damit einen bedeutenden hessischen Sozialdemokraten, Vater der hessischen und der bundesdeutschen Verfassung, nämlich Georg August Zinn, zitiert. (Leider ist der wikipedia-Eintrag zu ihm nicht besonders ergiebig, leider liefert auch die Friedrich Ebert-Stiftung nicht mehr. Offenbar hat es auch nie eine Biographie Zinns gegeben?!)

„Hesse ist, wer Hesse sein will” 


war Zinns Motto für den ersten Hessentag, und das war im Nachkriegshessen ein wahrhaft programmatischer Satz. Das neue Bundesland, das aus zwei seit Jahrhunderten getrennten Landesteilen nach Vorgabe der Alliierten neu zusammengesetzt wurde (und gleichzeitig den nicht unbedeutenden linksrheinischen Teil wegen französischer Ängste aufgeben musste), hatte sowohl mit der Identitätsfindung wie mit der Integration von Flüchtlingen zu tun. Mit dem jährlichen „Hessenfest” sollte das befördert werden.

Ein linksrheinischer Hesse, Carl Zuckmayer aus Nackenheim bei Mainz, hat  in seinem Schauspiel „Des Teufels General” den riesigen Vorteil der Aufnahme von Fremden in unserem Land geschildert. Der Fliegergeneral Harras tröstet den Fliegerleutnant Hartmann, der keinen arischen Ahnenpass zusammenbekommt:

„Und jetzt stellen Sie sich doch mal Ihre Ahnenreihe vor – seit Christi Geburt. Da war ein römischer Feldhauptmann, ein schwarzer Kerl, braun wie ne reife Olive, der hat einem blonden Mädchen Latein beigebracht. Und dann kam ein jüdischer Gewürzhändler in die Familie, das war ein ernster Mensch, der ist noch vor der Heirat Christ geworden und hat die katholische Haustradition begründet. – Und dann kam ein griechischer Arzt dazu, oder ein keltischer Legionär, ein Graubündner Landsknecht, ein schwedischer Reiter, ein Soldat Napoleons, ein desertierter Kosak, ein Schwarzwälder Flözer, ein wandernder Müllerbursch vom Elsaß, ein dicker Schiffer aus Holland, ein Magyar, ein Pandur, ein Offizier aus Wien, ein französischer Schauspieler, ein böhmischer Musikant – das hat alles am Rhein gelebt, gerauft, gesoffen und gesungen und Kinder gezeugt – und – und der Goethe, der kam aus demselben Topf, und der Beethoven und der Gutenberg, und der Matthias Grünewald, und – ach was, schau im Lexikon nach. Es waren die Besten, mein Lieber! Die Besten der Welt! Und warum? Weil sich die Völker dort vermischt haben. Vermischt – wie die Wasser aus Quellen und Bächen und Flüssen, damit sie zu einem großen, lebendigen Strom zusammenrinnen. Vom Rhein – das heißt: vom Abendland. Das ist natürlicher Adel. Das ist Rasse. Seien Sie stolz darauf, Hartmann – und hängen Sie die Papiere Ihrer Großmutter in den Abtritt. Prost.” 

Wer's gerne melodramatisch mag, findet  hier Curd Jürgens in seiner Paraderolle mit dem gebührenden Sentiment.

Bereits im April 2012 ging es mir übrigens ähnlich, als Bundespräsident Gauck öffentlich sagte:

„Dazu gehört, wer dazu gehören will”


Wenn diese beiden kleinen Sätze 2015 in Bund und Land Bedeutung und Anerkennung gewinnen, wird es am 31.12. kein ganz schlechtes Jahr gewesen sein. 

Bei der Gelegenheit wünsche ich allen Freundinnen und Bekannten, dass sie dort dazugehören können, wo sie sich das wünschen, und dass sie selbst all denen gegenüber offen sind, die sich Aufnahme von ihnen wünschen!