Sonntag, 29. März 2015

Der Zirkus ist in der Stadt


Nachdem der Film gerade noch einmal im Fernsehen lief (USA 2011, Regie: Francis Lawrence, immerhin mit Reese Witherspoon und Christoph Waltz), hat vielleicht die eine oder der andere von Euch Lust auf das Buch bekommen. Hier ist meine Besprechung anlässlich der deutschen Erstveröffentlichung 2009:

Kennen Sie Julius Fucik? Ich kannte ihn nicht. Aber Julius Fucik ist der Komponist des als „Zirkusmarsch“ berühmt gewordenen Stückes „Einzug der Gladiatoren“, und ohne den Klang seiner Musik, die auch das älteste Zirkuspferd noch in Bewegung setzen kann, hätte ich diese Besprechung nicht geschrieben: eigentlich sollen hier nur deutschsprachige Originalausgaben vorkommen.

Schon 2001 erschien „The Circus Fire“, deutsch 2003 als „Der Zirkusbrand“ von Stewart O´Nan, den manche den „Steven King für Intellektuelle“ nennen. Ich habe dieses Buch, das minutiös den Ablauf des größten Zirkusbrandes in der amerikanischen Geschichte rekonstruiert (1944 brannte Ringling Brothers Barnum and Bailey´s Circus in O´Nans Heimatstadt Hartfort, Connecticut, vollständig ab. Der Brand kostete 167 Menschenleben), mit größter Spannung gelesen. Noch nie habe ich eine so detailreiche Schilderung der großen amerikanischen Zirkusse, die mit dem Zug über Land fuhren und ganze Zeltstädte errichteten, gelesen.

Und nur aus Interesse für die amerikanische Zirkuswelt habe ich mir dann auch Sara Gruens „Wasser für die Elefanten“ vorgenommen, und obwohl darin auch viel vom Elend, Hunger und Tierquälerei die Rede ist, habe ich wieder ein Stück von der Faszination wahrgenommen, die einem beim „Zirkusmarsch“ in die Beine fährt.

Jacob Jankowski, der Held und Erzähler, verbringt neunzigjährig seine letzten, einsamen und traurigen Tage in einem Altersheim, als die Ankunft eines Zirkus angekündigt wird. Seine Erinnerung lebt auf, und in Rückblicken begleiten wir ihn, wie er vor siebzig Jahren, plötzlich zum Waisen geworden, sein Veterinärstudium abbricht und zu einem drittklassigen Zirkus gerät. Wir lernen, wie Auf- und Abbautrupps ohne Rücksicht auf Gesundheit und Leben der Arbeiter gehetzt werden, welche Arrangements mit den örtlichen Bürgermeistern und Polizeichefs getroffen werden müssen und welche Tiere sich am besten dazu eignen, in Falle von Geld- und Nahrungsknappheit an die wertvolleren Artgenossen verfüttert zu werden. Der Direktor von „Benzinis spektakulärster Show“, stets getrieben vom Vorbild der größeren, reicheren Zirkusse mit besseren Attraktionen, ist dadurch halbwegs erfolgreich geworden, dass er aus den Hinterlassenschaften pleitegegangener Kollegenzirkusse die „Sahnestücke“ kauft, vorzugsweise missgebildete Menschen oder spektakuläre exotische Tiere; eines Tages gerät so endlich auch die Elefantenkuh Rosie in die Zirkusmenagerie.

Wir lernen, warum diejenigen, die prahlend davon erzählen, im Zirkus hätten sie helfen dürfen, den Elefanten Wasser zu holen, nur Aufschneider sind, und dass Elefanten klug und verfressen, aber nicht unbedingt vielsprachig sind. Natürlich gerät der junge Jankowski auch in die Irrungen und Wirrungen der Liebe und wir erfahren, womit sich die amerikanischen Männer im Zirkus vergnügten, während ihre Frauen die Menagerie besuchen.

Vielleicht ist die einzige Kritik, die Sara Gruens Buch ertragen muss, die, dass es so ein schönes Ende hat. Aber da wissen wir ja schon, wie es zugegangen ist in den Eisenbahnzirkussen der zwanziger Jahre.


Sara Gruen: Wasser für die Elefanten
400 Seiten, Originaltitel: Water for Elephants,
aus dem Englischen von Eva Kemper. Die gebundene Ausgabe ist inzwischen vergriffen, aber antiquarisch leicht und günstig zu finden (ISBN 978-3499258961), als Taschenbuch ist der Band lieferbar unter der ISBN 978-3499248450

Stuart O'Nan: Der Zirkusbrand. Eine wahre Geschichte. (The circus fire) Taschenbuch: ISBN 978-3499237034

Dienstag, 10. März 2015

In der Frankfurter Schirn: Künstler und Propheten

Die Frankfurter Schirn zeigt

KÜNSTLER UND PROPHETEN. EINE GEHEIME GESCHICHTE DER MODERNE 1872-1972
6. MÄRZ – 14. JUNI 2015


Ich war sehr neugierig auf die Austellung und hatte mich in Gedanken auf eine ziemlich textlastige Präsentation vorbereitet.  Immerhin hatte ich von den „Inflationsheiligen” schon so viel gehört, dass ich „Monte Verita” und Hermann Hesse damit in Verbindung bringen konnte. Eine Verbindung zur bildenden Kunst war mir dagegen nicht bekannt.

Pamela Kort hat in der Schirn schon mehrfach Projekte kuratiert, zuletzt „Eugen Schönebeck – 1957 – 1967, Schirn Kunsthalle Frankfurt (February – May 2011)” und „I Like America: Fictions of the Wild West, Schirn Kunsthalle Frankfurt (September 2006 – January 2007)”.

Hier schickt sie uns Besucher in eine Präsentation, die zunächst in als Kabinette angeordneten Abschnitten der Ausstellung Leben und Werk einzelner Künstler präsentiert. Wem nicht mindestens die Grunddaten Deutscher Geschichte von 1871 bis 1971 bekannt sind, wird Mühe haben, sich die aussergewönlichen Figuren und ihr Leben zu sortieren. Tatsächlich ist einiges an Drucksachen und Fotografien in Vitrinen präsentiert, an den Wänden dazu kurze Einführungen zu Leben und Wirken. Ich hätte aber lieber noch mehr gelesen (und hatte mir ganz gegen meine Gewohnheit in der Hoffnung auf Hintergrundinformationen einen Audioguide ausgeliehen, der diese Hoffnung aber nicht erfüllte). Ein Zugang zu den Beweggründen der Künstler fehlt ebenso wie ihre Einordnung in die gesellschaftspolitischen Strömungen der Zeit.

Der Eingang zur Ausstellung führt durch einen labyrinthisch verschachtelten Gang, dessen Wände weit oben mit Teilen von Diefenbachs Fries "per aspera ad astra" geschmückt sind.

Teil des Frieses "per aspera ad astra" von Karl Wilhelm Diefenbach (1892)

Teil des Frieses "per aspera ad astra" von Karl Wilhelm Diefenbach (1892)

Teil des Frieses "per aspera ad astra" von Karl Wilhelm Diefenbach (1892)


Schon hier - und später an anderen Stellen erneut - konnte ich übrigens die Überlegung nicht vermeiden, wie lange es noch dauern wird, bis die (hier tatsächlich fast aufdringliche) Verherrlichung des jungen, gerne nackten, Kindes als Sinnbild von Reinheit und unverdorbener Natürlichkeit (mal wieder) nicht mehr öffentlich gezeigt werden kann.  „Nackte Kinder in nicht das Geschlecht in den Mittelpunkt stellenden Posen” (wir haben diesen Begriff in den letzten Monaten lernen müssen) gibt es hier jedenfalls zuhauf.

Die frühen Künstler, Karl Wilhelm Diefenbach, Gusto Gräser, Johannes Baader, Gustav Nagel, Friedrich Muck-Lamberty sowie Ludwig Christian Haeusser sind jeder einzelne so aussergewöhnlich und von messianischer „Geschicktheit” erfüllt, das ihr Leben durchgeknallter nicht erfunden werden könnte. Ob das beim Einzelnen eher bewusst gewählte künstlerische Attitüde, eine leichte Form des Wahnsinns oder nur zynisch berechnende Spekulation auf Lebensunterhalt war, wird nicht hinterfragt.

Baader z.B. tritt 1922 auf der Jugendburg Ludwigstein auf:

„Ich bin der Oberdada und werde die Geschicke der Burg in meine Hand nehmen.
Wo kann ich schlafen, und wann wird hier gegessen?"


Aufruf zur Ausrufung Baaders zum Präsidenten des Erdballs, Berlin 1919
Zusammen mit den Berliner Dadaisten um Grosz und Huelsenbeck annonciert er 1919 seine Ausrufung zum Präsidenten des Erdballs. Dass er sich auf Ernst Haeckel, den Zoologen, Darwinisten, Evolutionstheoretiker und Begründer des Deutschen Monistenbundes bezieht, hätte ich wie so viele andere „Bezüge” der Künstler in dieser Ausstellung, gerne ausführlich erläutert gesehen. Gusto Gräser („nennt mich Gras”), Friedrich Muck-Lamberty und Ludwig Christian Haeusser ziehen in mönchischen Gewändern durch Deutschland und predigen ein vegetarisches „zurück zur Natur” (sich den küftigen Führern hingebende Damen werden gelegentlich gerne genommen). 

Bei wikipedia finde ich zu Baaders weiterem Leben:
In der unsicheren Zeit hatten religiöse Schwärmereien zugenommen, und es war 1930 in Thüringen ein Kongress der verschiedenen vermeintlichen Christus-Wiedergänger der Zeit (die sogenannten Inflationsheiligen) und ihrer Anhänger veranstaltet worden. Baader flog mit einem Flugzeug der Lufthansa auf das Gelände, hatte einen großen Auftritt als wahrer Christus und verließ den Ort und die sprachlosen Anwesenden wieder. Seit 1941 arbeitete er wieder als Architekt.
Johannes Baader starb im Alter von 79 Jahren 1955 in einem Altersheim in Niederbayern.
1920 zieht  Friedrich Muck-Lamberty mit einer Art Kinderkreuzzug durch Thüringen; Hermann Hesse hat das in „Morgenlandfahrt” 1932 verewigt.

Mit Egon Schiele beginnt in der Ausstellung die Reihe der Künstler, die ihr „Prophetentum” (etwas) weniger ausdrucksstark lebten. Kort zählt auch ihn, Heinrich Vogeler und die Nachkriegskünstler Beuys, Immendorff und Hundertwasser dazu. Das bereichert die Ausstellung jedenfalls mit einigen großartigen Bildern.

Egon Schiele: „Frontal knieender weiblicher Akt” und „Männlicher Akt”. 1912

Vogelers Agitationsbildern stellt die Ausstellung eine Serie von Immendorff-Tölpeleien gegenüber, die ich mich in den Siebzigern gemalt zu haben bis heute schämen würde,

Heinrich Vogelers „Agitationsbilder”, rechts „Winterkulturkommando” von 1924   








Jörg Immendorff „Agitprop”


und zwar sowohl des agitatorischen wie des künstlerischen Ausdrucks wegen, und obwohl ich gestehe, einmal aus agitatorischen Gründen einen Streusselkuchen gebacken zu haben, auf dem mit Kakaostreusseln geschrieben stand „Omans Volk braucht Schulen” ...

Ich bedaure nicht, die Ausstellung gesehen zu haben, vermisse aber die stringente Verbindung zumindest zu den Nachkriegskünstlern; hier scheint mir der Zusammenhang ein wenig herbeigezogen zu sein. Und unter welchen Umständen, welchem eigenen Selbstverständnis und mit welcher gesellschaftlichen Reaktion die Gurus der zwanziger Jahre Deutschland unsicher machten, werde ich mir noch an anderer Stelle „anlesen” müssen. So bleibt der Ausstellungsbesuch eine Anregung, aber das ist ja schon mehr, als was von manch anderer gesagt werden kann.

Der 500-Seiten-Katalog, den die Kuratorin ganz alleine geschrieben hat, war mir für 38 € (Ausstellungspreis, Ladenpreis 58 €) zu teuer; wikipedia nennt den vergriffenen Band „Ulrich Linse: Barfüßige Propheten. Erlöser der zwanziger Jahre” 1983 bei Siedler erschienen und leicht antiquarisch zu finden, als Quelle.

 Die Feuilletons brachten anlässlich der Eröffnung zwei sehr unterschiedliche Besprechungen: Annette Krämer-Alig beklagt im Darmstädter Echo  die „schwache Argumentationslinie” der Ausstellung, Julia Voss dagegen lobt hier in der FAZ „Und es ist endlich eine Schau, die sich etwas traut, endlich eine Schau, die eine neue, eigene, ganz andere Geschichte erzählt.”

Ich stehe nicht an, beiden zuzustimmen: Frau Krämer-Alig hat recht, weil die  „Neuen” sich doch auf ganz andere Bezüge beriefen als die 20-Jahre-Propheten, und Frau Voss hat recht, weil die Ausstellung es wagt, biografische Information gleichwertig neben die Präsentation von nicht immer erstklassiger Kunst zu stellen (auch wenn das noch nicht perfekt gelungen ist).

Einen Besuch aus dem Rhein-Main-Gebiet ist die Ausstellung allemal wert.

Nachtrag vom 7.4.:

Ulf Erdmann Ziegler hat die Ausstellung besucht und für die taz gründlich und sehr kritisch besprochen: „Da ist durchaus etwas an der Rückseite utopischer Bewegungen, ein patriarchaler Wahn, der einen stutzig macht. Man sollte das, wenn man irgend kann, benennen. "Künstler und Propheten" verklärt durchgeknallte Christusgurus zu Präfigurationen sensibler Künstlerschaft. Das ist Irrsinn. Diese Ausstellung zeichnet den Diskurs der Sektierer nicht nach, sie sitzt ihm auf.”

Sonntag, 8. März 2015

Export ins Abendland ist keine Lösung

Letzten Sonntag habe ich hier ein paar Bemerkungen anlässslich des schrecklichen Wütens des sogenannten islamischen Staates unter den unersetzlichen Kunstwerken im Irak veröffentlicht.

In der vergangenen Woche habe ich dazu noch manches gelesen; mir fiel dabei auf, mit welchem überheblichen Ton da über die irren Muslime, durchgeknallten Bilderstürme usw. usf. geschrieben wurde.

Besonders geärgert habe ich mich immer dannn, wenn mehr oder weniger deutlich bemerkt wurde, die schützenswerte Kunst könne es bei uns doch viel besser haben als bei den ignoranten Idioten da unten, und die ganze Welt könne doch nur froh sein, dass bspw. die sogenannten Elgin-Marbles von der Akropolis oder das Ischtar-Tor aus Babylon in der Sicherheit des britischen Museums oder des Pergamons-Museums stünden und nicht im Zugriff irgendwelcher Marodeure.

Ich spare mir die Wiedergabe der umfangreichen Diskussionen darüber, ob und welche Kunstwerke „legal” ausser Landes gebracht wurden und daher „zu recht” in unseren Museen stehen; darum geht es hier nicht. 

Das Ischtar-Tor im Pergamon-Museum Berlin

Ein paar der „Elgin-Marbles" von der Athener Akropolis im British Museum. London

Eine ganz kleine Web-Suche könnte die Großmäuligkeit der hochkulturellen Kunstbewahrerinnen ins rechte Licht setzen - unter „Kunst Kriegsverluste Deutschland" fand ich bei google ohne jede Mühe 44.600 Einträge, die aufs mannigfaltigste illustrieren, was unsere Hochkultur vor grade mal 70 Jahren so alles dem Orkus übergeben hat. Als einen der wirklichen zahlreichen Belege zitiere ich hier aus einer Aufstellung der „Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg” -

„Opfer von Bomben und Kampfhandlungen wurden meist immobile Kunstwerke wie die Schlösser und die mit ihnen verbundenen Raumschöpfungen und Skulpturen. Betroffen waren vor allem Werke von Schlüter, Eosander, Knobelsdorff, Nahl, den Gebrüdern Hoppenhaupt, Gontard, Erdmannsdorff, Langhans und Schinkel sowie die Schlösser Berlin, Monbijou, Potsdam, Schwedt und große Teile des Schlosses Charlottenburg. Die stark beschädigten, aber rekonstruierbaren Schlösser von Berlin und Potsdam wurden später unter der DDR-Regierung gesprengt.”

Und komme mir niemand mit dem Einwand, im Irak würde die Kunstwerke ja nicht „aus Versehen”, sondern geplant zerstört und das mache einen Unterschied. Die „Reinigung” unserer Museen und Bibliotheken durch die Nazi-Vandalen z. B. fand über 12 Jahre systematisch und ziemlich erfolgreich statt.

Kunst und Kultur sind  immer Kollateralverluste kriegerischer Auseinandersetzungen, und das ändert sich nicht durch die Verlagerung von Kunstwerken, sondern nur durch die Abschaffung des Krieges.

Dazu, wie die Lage ist, dass Zerstörung nicht erst gestern einsetzte und was nun zu tun ist, schreibt Markus Hilgert am 7.3. hier in der FAZ. 


Sonntag, 1. März 2015

Das Konzept der Freiheit nicht den Neoliberalen überlassen

Angesichts der Bilderstürmereien des sogennanten islamischen Staates komme ich auf eine Parallele in unserer Geschichte, die einerseits unendlich lange her ist, andererseits aber erschreckende Parallelen zeigt und bis heute fortwirkt. Kersten Knipp meint in einem Kommentar für den Deutschlandfunk: „ ... Denn nirgends, in Syrien und im Irak genauso wenig wie anderswo auf der Welt, lassen sich die Menschen auf Dauer vorschreiben, was sie zu denken und zu glauben haben.” Bleibt zu fürchten, dass dieses „auf die Dauer” auch mal länger dauern könnte als die von ihm genannten Beispiele der letzten 200 Jahre. 

Ich denke an den Untergang des römischen Imperiums nördlich der Alpen und das danach anbrechende dunkle Zeitalter, aus dem wir so wenig wissen, dass historistische Abenteurer den Versuch gemacht haben, es für nie existierend und erfunden zu erklären.

Den Stand der im 5. Jahrhundert erreichten Zivilisation können wir heute noch ahnen, wenn wir in Trier, Xanten oder Bad Kreuznach die Reste römischen Wohnens besichtigen. Von Warmluftheizung über Badekultur und Abwasserhygiene, von Ackerbau, Viehzucht und Vorratshaltung zu Literatur, Malerei und bildender Kunst, nicht zuletzt auch Philosophie und Religion, herrschten Umstände, die wir uns bis heute als durchaus angenehm und lebenswert vorstellen können (natürlich besonders für Mitglieder der herrschenden Klasse, aber ich denke, auch die meisten Sklaven und mit den Römern verbundenen „freien” Bauern hätten ihr Leben im römischen Kulturkreis einer rauchigen Lehmhütte im norddeutschen Torfland vorgezogen).

Bad Kreuznach. Modell der römischen Villa
Zustand um 200 uZ

Bad Kreuznach Römische Villa
Detail aus einem der erhaltenen Bodenmosaiken
Im Beitrag „Der Untergang des römischen Reiches" bei wikipedia sind die unterschiedlichen Theorien und Erklärungen für das Ende Roms in Mitteleuropa gut und ausführlich diskutiert. Trotz der sehr unterschiedlichen Erklärungsansätze bleibt als Fakt, dass schließlich gotische, germanische und hunnische Stämme herrschten, wo früher römisches Reich gewesen war.

You know what I mean:
Iron age house ca. 400 AD. Reconstruction at Moesgaard Museum near Aarhus, Denmark.
Foto von Sten Porse, Gefunden im wikipedia-Beitrag "Germanen"

Die „Barbaren” der Vergangenheit, von denen wir vermuten müssen, dass wir mehr von deren Genen als von denen der Römer in uns tragen, übernahmen die Macht. Und eine Kultur ging unter, deren Errungenschaften zum Teil erst nach fast 1.000 Jahre wieder erreicht wurden. Biologinnen haben nachgewiesen, dass Hausvieh wie Rinder und Schweine erst zu Beginn der Neuzeit wieder die Größe und Leistungsfähigkeit erreichte, die römischer Zuchtverstand bereits erzielt hatte. Ähnliches gilt für Agrarprodukte. Der fast vollständige Untergang der Schriftkultur, die nicht einmal in Klöstern überleben konnte, sondern Jahrhunderte später aus Irland, wo sie buchstäblich überwinterte, wieder eingeführt werden musste, ist ein anderes Beispiel für die vollständige Dunkelheit dieser Zeit.

Während ich mir also Gedanken darüber mache, dass primitive Bilderstürmer Gesellschaft und Kultur tatsächlich um viele Jahrhunderte zurückwerfen können, veröffentlicht die „WOZ” einen Aufsatz des zur Zeit fast omnipräsenten griechischen Finanzministers Varoufakis aus dem Jahr 2013.  Er erklärt sich darin zu den Thesen in seinem in Kürze auf Deutsch erscheinenden Text


Yanis Varoufakis / James K. Galbraith / Stuart Holland
Bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise


Zur Frage der aktuellen Finanzkrise und den Konsequenzen daraus schreibt er:

„ ... Für mich ist die Antwort klar. Die Krise in Europa wird wohl kaum eine bessere Alternative zum Kapitalismus hervorbringen, sondern viel eher gefährliche rückwärtsgewandte Kräfte entfesseln, die ein Blutbad verursachen und gleichzeitig jede Hoffnung auf Fortschritt auf Generationen hinaus vernichten könnten. ... Im 20. Jahrhundert haben sich zwei politische Bewegungen auf das marxsche Denken bezogen, nämlich die kommunistischen und die sozialdemokratischen Parteien. Beide – zusätzlich zu ihren anderen Fehlern (und Verbrechen) – versäumten es zu ihrem eigenen Schaden, Marx in einer zentralen Hinsicht zu folgen: Anstatt Freiheit und Vernunft als die zentralen Schlachtrufe und Konzepte zu übernehmen, entschieden sie sich für Gleichheit und Gerechtigkeit und überliessen so das Konzept der Freiheit letztlich den Neoliberalen. ... ” 

Gerade also angesichts der - vorgeblich ja übrigens auch antikapitalistischen - Verbrechen im nahen Osten dürfen wir nicht vergessen, dass Wendungen zum Schlechten überall, jederzeit und für Jahrhunderte möglich sind. Sage nun niemand, dass ein so vollständiger Verfall heute nicht bevorstehe, ja nie mehr eintreten könne. Es ist noch keine 100 Jahre her, dass der Versuch, ein tausendjähriges Reich zu errichten, noch viel wilder wütete, als es der sogenannte islamische Staat bisher vermag. Varoufakis hat recht:

Es geht darum, das Konzept der Freiheit zu verteidigen.