Montag, 7. September 2015

Alle Menschen waren Flüchtlinge - irgendwann

blogger für flüchtlinge
„Blogger für Flüchtlinge” ruft auf, Flagge zu zeigen und „einen Artikel zum Thema zu schreiben”. Unter dem link dorthin finden sich weitere Informationen, wer wie wo helfen kann.

Über lokale Aktivitäten und Hilfsmöglichkeiten finden sich Informationen bei Facebook. „Darmstadt für Flüchtlinge” hat die Herausforderung der Zuweisung von hunderten von Flüchtlingsfamilien nach Darmstadt mit ehrenamtlicher Arbeit vorbildlich gemeistert, und unter Asylkreis Pfungstadt berichtet Halima Gutale aus Pfungstadt.

Und der Hessische Rundfunk hat zum hashtag #peoplelikeme hier ein Angebot eingestellt, wo benötigte Hilfe recherchiert werden kann. 


Kapelle auf der Ufenau
Das ist ein kleines romanisches Kirchlein auf der Insel Ufenau im Zürichsee.

Um 1300 lebte dort Albert Heusser, und das ist mein frühester bekannter Vorfahr.

300 Jahre später, um 1608, hat seine Nachfahrin Margareta Heusser aus Hombrechtikon den ersten mir bekannten Brunner in meiner Ahnenreihe, Hans Heinrich Brunner aus Wolfhausen/Grüningen am Zürichsee, geheiratet. Dessen Sohn, der auch Hans Heinrich hieß, ist nach dem Dreissigjährigen Krieg mit seiner Frau Judith Kunz und einigen Verwandten im Odenwald eingewandert. Sie ließen sich im Odenwalddorf Fränkisch-Crumbach nieder, das seit den 1640er Jahren in Folge der Kriegsverwüstungen ausgestorben war. Die Schweizer Wirtschaftsflüchtlinge begründeten eine muntere Schar von Odenwälder Brunners, die sich mit den ansässigen Odenwäldern versippten und verschwägerten.

Seine Heimat verlassen, um woanders sein Glück zu suchen, ist nicht neu.
 

„Etwas besseres als den Tod finden wir überall”


ist das Motto der Bremer Stadtmusikanten, die ja selbst eine Metapher für Auswanderung aus Armut und Bedrängnis sind.

In jeder von uns steckt diese Erfahrung, die Weltgeschichte hat wohl kaum eine Familie über zig Generationen sicher und satt am gleichen Ort leben lassen. Und diese kollektive Erinnerung  muss uns Ansporn und Rechtfertigung sein, allen, die diese Erfahrung zufällig gerade jetzt machen müssen, beizustehen.  



Montag, 17. August 2015

.. nos et mutamur in iis*

* und wir verändern uns in ihnen (zweiter Teil von "Die Zeiten ändern sich, ...")

Auf Facebook vagabundiert der Aufruf, fünf Tage lang ein mindestens 15 Jahre altes Bild von sich selbst zu posten und dabei täglich einen weiteren FB-Kontakt aufzufordern, dasselbe zu tun. Nachdem der Kelch lange an mir vorüberging, hat mich schließlich Rainer Sens, der Bürgermeister von Hirschhorn am Neckar und Freund seit einer gemeinsamen Regionalberater-Schulung, erwischt. Ich hab also seit Donnerstag fünf Bilder gepostet, allerdings darauf verzichtet, weitere Opfer” zu benennen. Zum Schneeballeffekt gehört ja auch das Abschmelzen, finde ich.

Ich hatte richtigen Spaß beim Durchsehen der alten Fotos, und weil Fb-Postings ja doch sehr vergänglich sind und auch bei weitem nicht allen meiner Freunde und Bekannten zugänglich, stelle ich die 5 Bilder auch hier ein.



Mit meiner Mutter an meinem Geburtsort Badenheim in Rheinhessen, ca. 1958

Einschulung in Wöllstein, Ostern 1962
Schuldorf Bergstrasse, 1972

Mit Tochter Luise (*1/96), Juni 1996

Friedenspreisverleihung an Martin Walser, Oktober 1998
 
Hier jetzt noch noch ein paar, für die kein Platz mehr war, die ich aber auch gerne mag, und schließlich zwei halbwegs aktuelle Bilder - to whom it may concern. 


Mit meinen beiden Schwestern. Wöllstein, ca. 1961
Mein erster (und einziger!) Tag im Kindergarten. Ca. 1960


Nikon FM2 - unerreicht! ca, 1990





Mit unserem Halb-Chow Kira ca. 2.000 auf der Mathildenhöhe (both still alive and kickin'!)  



Sonntag, 26. Juli 2015

Tage der Industriekultur 2015: Frankfurter Campusführung

Im August letzten Jahres habe ich hier schon einmal von einem Ausflug in einen mir unbekannten Teil Frankfurts berichtet.

Gestern waren wir im Rahmen der 13. Tage der Industriekultur zu einer Besichtigung auf dem immer noch neuen Frankfurter Campus, besonders in und um das IG-Farben-Haus, Hans Poelzigs sensationellen Bau von 1931, der uns nicht ganz so fremd war wie letztes Jahr Höchst.


 

Einerseits habe ich noch Erinnerungen an das abgeschirmte Gelände als Sitz der US-Militärverwaltung, andererseits war ich sozusagen Zeitzeuge des Übergangs zunächst an den Bund, der Diskussionen über die künftige Verwendung und schließlich der Übergabe an die Frankfurter Universität in den neunziger Jahren. Ich erinnere mich an die unwirkliche Situation der gerade von den Amerikanern verlassenen Räume, die für so viel Vergangenheit standen und deren Zukunft so unklar war. Durch die Verbindung mit der verbrecherischen Geschichte der IG-Farben trägt das Haus Attribute, die nicht gelöscht werden können und heute auch nicht geleugnet, sondern angemessen gezeigt werden.



Seitdem bin ich immer wieder mal als Spaziergänger, selten auch als Gast einer Veranstaltung, im und um den Poelzig-Bau gewesen. Einige der Fotos hier sind daher auch nicht erst gestern entstanden.

Dr. Astrid Jacobs von „Kultur-Erlebnis” führte (an diesem Tag schon zu zweiten Mal) eine Gruppe von an die vierzig Besucherinnen, die alle das Lebensalter von Studentinnen schon weit überschritten hatten. Die gut gelaunte und hochkompetente Führung hat mir neue Perspektiven eröffnet und (auch im ganz wörtlichen Sinn) Zugänge geschaffen. Dazu gehörte natürlich besonders die Öffnung von nicht jederzeit zugänglichen Räumen wie dem „kleinen Konferenzraum”, der nach der Befreiung Eisenhowers Büro war und in dem hessische, deutsche und europäische Geschichte gemacht wurde.

Poelzig-Bau Frankfurt, „Kleiner Konferenzraum”

Hier wurde die Proklamation „Groß-Hessens” verkündet, der Auftrag zur Abfassung des Grundgesetzes überreicht und die Ablösung der Reichsmark durch die D-Mark verfügt.

Die wunderbare Holztäfelung des Raumes war unter den Amerikanern übrigens unter einer zuletzt 7-fachen Schicht von - DC-Fix-Klebefolie verborgen ... Immerhin hat das sicher nicht unerheblich zur Erhaltung beigetragen, währen anderen Räumen das Squasch-Spielen weniger gut bekommen ist.

Poelzig-Bau Frankfurt, Bibliothek im ehemaligen großen Konferenzraum

Aus dem großem Konferenzraum ist ein Teil der Bibliothek geworden (an der Stirnseite der Tische ist ein grüner Goethe zu erkennen - Überrest von Otmar Hoerls Installation 2014).

Poelzigs Bau ist eine Architekturikone, was sich nicht nur im grandiosen Äusseren und der fast sensationellen Funktionalität des Gebäudes erweist, sondern eben auch und gerade in zahlreichen Details.

Poelzig-Bau Frankkfurt, Dachterasse

Poelzig-Bau Frankfurt, „Reichsformdrücker No. 16”, von Poelzig entwickelter Türgriff

Poelzig-Bau Frankfurt, Gang im ersten OG
Poelzig-Bau Frankfurt, Haupttreppenhaus, Details des Geländers

Poelzig-Bau Frankfurt, Blick in Haupttreppenhaus


Poelzig-Bau Frankfurt, Paternoster (nur des Wochenendes wegen abgesperrt;
ansonsten aber trotz Berliner Bedrohungen wochentags in ständigem Einsatz)
Poelzig-Bau Frankfurt, Blick durch die Cafeteria auf das Kasino

Poelzig-Bau Frankfurt, Kasino

Poelzig-Bau Frankfurt, Blick von Norden über Fritz Klimsch's „Nymphe am Wasser"

Poelzig-Bau Frankfurt, Blick von Nordost



Poelzig-Bau Frankfurt, Kasino, das freigelegte Fresko „Arkadien” von Georg Heck.
Details dazu bei Monumente, dem Magazin der Deutschen Stiftung Denkmalschutz

Überraschend gut gelungen ist auch der neue Bauabschnitt des Campus mit zahlreichen Neubauten, die auf ein Auftrumpfen gegenüber den historischen Gebäuden erfreulicherweise verzichten. 

Campus Frankfurt, Blick auf das Hörsaalgebäude

Campus Frankfurt, Treppenhaus im Hörsaalgebäude

Campus Frankfurt, Großer Hörsaal

Blick nach Westen von der Terasse des Hörsaalgebäudes mit „House of Finance”
und dem Gebäude der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften

Campus Frankfurt, Treppenhaus im Hörsaalgebäude
 Das einzige Graffito auf dem ansonsten fast klinisch sauberen gesamten Gelände (beeindruckend insbesondere für die, die sich an den alten Campus Bockenheim erinnern ...), das wir gesehen haben,  erinnert zu Recht an den zu Zwangsarbeit gepressten Norbert Wollheim, der einen Musterprozeß für seine  Entschädigung gegen die IG Farben führte









Sonntag, 21. Juni 2015

In einer deutschen Amtsstube riecht alles nach der Apotheke

Herr von Hornthal hat in der bayerischen Kammer der Abgeordneten den Antrag gemacht,

daß man die bestehenden strengen Verordnungen über die pflichtmäßige Verschwiegenheit der Beamten, 

als unvereinbar mit einer konstitutionellen Regierung, aufheben oder lindern möchte. 


Das ist ein Wort zu seiner Zeit, aber freilich nur ein Wort, und zu einer langen Rede wäre Stoff genug vorhanden. Wenn irgend eine Regierung geheimnisvoll verfährt, so ist dies das Traurigste nicht – das Traurigste wäre, wenn sie das Bedürfnis fühlte, so zu verfahren.
Wenn bestehende und bekannte Gesetze in gegebenen Fällen nach voraus bestimmten Regeln angewendet werden, wozu täte dann Verschwiegenheit der Beamten not? Sollte man nicht vielmehr jede Gelegenheit benutzen, den Bürgern, die sich selten auf den theoretischen Wert der Gesetze verstehen, bei deren Ausübung zu zeigen, wie nützlich sie sind? Wozu jener Hokuspokus und aller sonstiger Schnickschnack, dem man in dem Treiben der Beamten so oft begegnet?
Ernst soll der Gesetzgeber, streng der Richter, aber der Verwaltungsbeamte kann nicht heiter, nicht freundlich, nicht zutraulich, nicht offen genug sein. Man muß denjenigen Teil der Regierung, der heilkünstlerisch verfährt und die Schärfe des wundärztlichen Messers wie die Bitterkeit der Arzneien nicht erlassen kann, von demjenigen unterscheiden, der die Lebensordnung der Bürger regelt und sich nur der Hausmittel bedient.
Aber in einer deutschen Amtsstube riecht alles nach der Apotheke. Tritt man hinein, so geschieht von zweien Dingen eins. Entweder man ist unerfahren, und dann fühlt man sich das Herz wie zugeschnürt über diese ängstliche Stille, diese Grämlichkeit der Beamten und ihr geisterartig hohles und gefühlloses Reden. Oder man kennt die Welt, und dann lächelt man nur allzu viel, weil man nur allzu gut weiß, daß diese finstern Götter so unerbittlich nicht sind. In dem einen Falle geht die Liebe, in dem andern die Achtung verloren.

(Ludwig Börne)

Dienstag, 16. Juni 2015

Zwischen Vergangenheit und Zukunft fließt ein breiter Strom

Was den Übergang der alten Zeit in die neue so blutig macht, ist die Enge des Weges, der von jener zu dieser führt. Zwischen Vergangenheit und Zukunft fließt ein breiter Strom, die Gegenwart ist die Brücke darüber. Die Angreifenden und die, welche sich verteidigen, die Vordringenden und die Fliehenden, treiben, drängen und hindern sich darauf. Tausend Schlachtopfer fallen fruchtlos, ohne den Sieg zu beschleunigen noch die Niederlage zu verzögern. Aber der Mensch muß auch gerecht gegen sich selbst sein, das ist nicht seine Schuld, das Schicksal hat es zu verantworten.

(Ludwig Börne)

Dienstag, 9. Juni 2015

Börne über die Vergeblichkeit von Postzensur


* 6. Mai 1786 in Frankfurt am Main, † 12. Februar 1837 in Paris

Auf twitter veröffentliche ich seit letzter Woche unter @Ludwig_Boerne täglich einen Börne-Aphorismus. Gelegentlich werde ich hier den vollständigen Text posten, so in diesem Fall, der für Börnes unglaubliche Aktualität steht: 

Aus einer Rede, die der Abgeordnete Girardin in der französischen Kammer gehalten, erfährt man, daß unter der alten königlichen Regierung die Briefe auf der Post eröffnet wurden, daß dieses unter Napoleon auch geschah und daß es jetzt noch immer geschehe. Sooft man mit manchen Staatsmännern von dergleichen Gegenständen spricht, lächeln sie, und das ist auch wirklich das beste, was sie tun können, denn wie ließe sich ein Lächeln widerlegen? Es ist ein Alphabet, worin die Bestandteile aller möglichen Meinungen enthalten sind. Was antworten sie aber darauf, wenn man sie fragt: haben jene Eingriffe in das Eigentum Ludwig XVI. gerettet, haben sie Napoleon vor dem Untergange bewahrt? Wenn man sie fragt: haben tausend abgeschmackte Polizeikünste, deren Anwendung man sich immer noch nicht schämt, haben sie die spanische, die portugiesische und andere Revolutionen, haben sie den Abfall der südamerikanischen Staaten verhindert? – Was werden sie darauf erwidern können? Werdet ihr nie begreifen, daß ihr es nicht mit Personen zu tun habt, sondern daß euch Sachen feindlich gegenüberstehen, und daß eine Sache, wie die Luft, unverwundbar ist? Ihr jubelt, wenn es euch gelang, einen kleinen Raum luftleer zu machen, und ihr vergesset, daß es dann um so gefährlicher ist für euch, weil in luftleeren Räumen fallende Körper um so schneller fallen. Freilich sind solche Reden vergebens, und man wird damit ausgelacht; aber es ist besser, den Atem als den Verstand verlieren.

Montag, 27. April 2015

Das ist überhaupt keine Zeitung ?!

Auf meinen Beitrag vom 15.4. zum BILD-Boykott hat Benno Sorg im Blog Direkte Aktion, das sich so beschreibt:
„Anstatt die Bürgerinnen und Bürger zu Zuschauern der Demokratie zu degradieren (wie das viele Medien tun, bietet Direkte Aktion vielfältige Möglichkeiten, aktiv einzugreifen, Druck auf die Politiker auszuüben und die Welt in der wir leben zu verbessern. Diese Bemühungen können alle LeserInnen unterstützen, indem sie bei den Aktionen mitmachen und diese aktiv weiterempfehlen. Direkte Aktion begreift sich als demokratisch und konstruktiv.”) 
hier  geantwortet: 
„Ein ehrenwertes Anliegen, das ernst genommen werden sollte. Dennoch teile ich seine Argumentation nicht vollständig und möchte dazu Stellung nehmen.”
In Kürze zu seinen Argumenten:

- grundsätzlich ist die Aufnahme einer Publikation ins Pressegrosso nur insofern von Kapital abhängig, als das dieses für die Produktion derselben vorhanden ist. Das liegt aber in der Natur der Sache.

- Ich bin sicher, dass es juristisch nicht gelingen wird, der Bildzeitung die Eigenschaft als Presseorgan abzusprechen.

- Argumente, die für einen selbst den Verstoß gegen geltendes Recht reklamieren, wenn die anderen als Erste dagegen verstoßen haben („Das Hetzblatt nimmt auch die anderen im GG vorgesehenen Grundrechte regelmäßig unter Feuer, wenn es denn der Hetze dient. Springer hat m. M. – zumindest moralisch - nach das Recht verwirkt, sich – als Verlag - auf das GG zu berufen."), sind natürlich keine.

Ganz d'accord bin ich mit dem Schluss seiner Argumentation, (wobei ich allerdings unsicher bin, ob ausgerechnet Springer mehr als andere von Werbung abhängt):

1.) Viel wirksamer: Der Springer Verlag und das Hetzblatt hängen zu 95% – mehr als jeder andere Verlag – vom Werbegeschäft ab. Wer im Hetzblatt (oder in der Online Ausgabe) wirbt, finanziert damit die Hetze der Bild.
Die Werbetätigkeit dieser Konzerne in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken und sie an ihre Verantwortung (auch gegenüber ihren Kunden) zu erinnern – tut dem Hetzblatt mehr weh als der Boykott durch 1.000 Einzelhändler.
2.) Auch die Einzelhändler können – ohne sich in die rechtliche Grauzone zu bewegen – viel gegen das Hetzblatt tun. Indem sie auf Werbemittel verzichten, die Bild weniger präsent (bis gar nicht offen) auslegen, den Kunden im Verkaufs(beratungs-)gespräch zu besseren Publikationen raten.

Mittwoch, 15. April 2015

Nein, ich will nicht, dass mein Zeitungsladen BILD für mich boykottiert!

Ich habe hier kürzlich schon einmal über mein Verhältnis zur Bild-Zeitung geschrieben und habe dem wenig hinzuzufügen.

In den letzten Wochen werde ich nun immer wieder aufgefordert, in irgendeiner Weise einen „Bild-Boykott" der Zeitungsverkäufer zu befördern oder zu unterstützen.

In der facebook-Group BildNeinDanke schrieb ich kürzlich in einem Kommentar:


So einfach ist das leider nicht. Der Pressevertrieb ist ein häufig unterschätztes Standbein der demokratischen Informationsbeschaffung, und tatsächlich kann, wer als Händler zensierend in dieses Angebot eingreift, vom Vertrieb ausgeschlossen werden.

Hier ist mehr Platz und Muse, um das ein bisschen genauer zu erläutern (in diesem Beitrag sind alle Hervorhebungen von mir):

Zunächst zur Verfassung. §5 Grundgesetz:

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
...
Darauf beruft sich die Einrichtung des Presse-Grosso, des Vertriebssystems der Zeitungen und Zeitschriften vom Verlag zum Einzelhandel/Wiederverkäufer.

Zum Vertrieb findet sich im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)
§ 30 Preisbindung bei Zeitungen und Zeitschriften 
...  Insoweit sind die ... Vereinigungen und die von ihnen jeweils vertretenen Presseverlage und Presse-Grossisten zur Sicherstellung eines flächendeckenden und diskriminierungsfreien Vertriebs von Zeitungen und Zeitschriften im stationären Einzelhandel im Sinne von Artikel 106 Absatz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut. ... 
Über das Pressegrosso werden laut wikipedia heute in Deutschland 54% aller Zeitungen und Zeitschriften vertrieben, das ist deutlich mehr als der Abonnement-Absatz.

Der wikipedia-Artikel „Presse-Grosso” erläutert sehr gut, wie das funktioniert:

Deutschland ist in 79 sogenannte „Grossogebiete“ aufgeteilt, in denen 66 Grossofirmen tätig sind. Die Grossisten besitzen ein Alleinauslieferungsrecht, also insofern ein Monopol, lediglich in Berlin und Hamburg gibt es eine bedingte Konkurrenz zwischen Grossisten. Diese Ausnahme ist im Kartellrecht geregelt. Erst 2003 bestätigte die Bundesregierung das spezielle Vertriebssystem nochmals.
Verfassung und Ausgestaltung des deutschen Pressevertriebssystems basieren auf der Gewährleistung von Pressefreiheit und Pressevielfalt, die Artikel 5 des Grundgesetzes verbürgt. Es soll als neutraler Absatzmittler die Vielfalt, Jederzeit- und Überallerhältlichkeit von Presseerzeugnissen bestmöglich sichern. Die Freiheiten des Artikel 5, heißt es im Medienbericht der Bundesregierung von 2008, "würden leerlaufen, könnte nicht die gesamte Bandbreite der in- und ausländischen Verlagsproduktion de facto an jedem Ort von jedermann zu erschwinglichen Preisen gelesen werden können". Ein bis in den letzten Winkel des Landes funktionierendes Presse-Grosso ist vor allem für neue, finanzschwache oder an Minderheiten ausgerichtete Verlage lebensnotwendig. Sie sind zumeist außerstande, einen eigenen Vertrieb aufzubauen und zu erhalten.
Eine Reihe von Essentials für Erhalt und Weiterentwicklung des Systems sind in der Gemeinsamen Erklärung (GE) von 2004 zwischen den Verbänden der Zeitschriften- und Zeitungsverleger (VDZl, BDZV) und dem BVPG festgelegt worden. Diese sind insbesondere das Dispositions- und das Remissionsrecht, die Preis- und Verwendungsbindung sowie die Neutralitätsverpflichtung.
In seinem zugeteilten Gebiet unterliegt der Pressegrossist dem Kontrahierungszwang. Er hat folglich die Pflicht, nicht nur jede Verkaufsstelle zu beliefern, sondern auch jede auf dem Markt erhältliche Publikation anzubieten und in sein Programm aufzunehmen. Der Einzelhandel hat somit einen Belieferungsanspruch gegenüber dem Pressegrossisten. Außerdem hat der Einzelhandel das Recht, seine nicht verkauften Exemplare von Druckerzeugnissen zu remittieren. Die Verlage sind verpflichtet, sie zurückzunehmen (was die Pressegrossisten abwickeln). Diese Vorgaben sollen die wirtschaftliche Existenz kleiner Verlage und die faire Konkurrenz untereinander gewährleisten, nicht zuletzt auch die Basis der Verkaufsstellenbetreiber.
Genau betrachtet handelt es sich bei dem System also (mindestens) auch um die einzige Möglichkeit von periodischen Publikationen, mit halbwegs überschaubarem organisatorischem Aufwand in annähernd jeden Winkel unsere Republik zu kommen.

Mit anderen Worten:

Durch die weitgehenden Ausnahmeregelungen von Preis- und Wettbewerbsrecht wird die Möglichkeit geschaffen, Presseerzeugnisse breit anzubieten. 

Für die „Roten Fahne” über die „Nationalzeitung” und wer weiß was für abenteuerliche Blätter noch hat das dazu geführt, dass sie tatsächlich verfügbar wurden. Nun ist das in vielen Einzelfällen von vielen Einzelnen ganz sicher eher ungern gesehen, macht aber in der Summe, denke jedenfalls ich, durchaus Sinn. Und es macht wenig Sinn, in dieses gut begründete Vertriebssystem durch individuelle Boykotte der Händler einzugreifen. Die sind nämlich glücklicherweise verpflichtet, ALLE Publikationen, die ihnen geliefert werden, anzubieten.

Und ich bin sehr froh, dass ich nicht manchmal zum katholischen Bahnhofsbuchhandel und manchmal zur linken Kiezbuchhandlung muss, um mir meine persönlichen Informationsquellen zusammenzukaufen.

Das Neutralitätsgebot der Verkaufsstellen möchte ich nicht opfern, um die Bild-Zeitung zu schwächen. Dafür muss uns besseres einfallen. Und dass inzwischen die verrücktesten Spinner mit Verschwörungstheorien, Antisemitismus und ähnlich unappetitlichen Beweggründen auf den Bild-Boykott-Zug aufspringen wollen, spricht auch dafür, dass das der falsche Weg ist.

Dass hier möglicherweise eine Schlacht geschlagen wird, die sich in den nächsten Jahren durch elektronische Distribution und Zeitungssterben erübrigt, mag sein, ist aber eine andere Geschichte.

Sonntag, 29. März 2015

Der Zirkus ist in der Stadt


Nachdem der Film gerade noch einmal im Fernsehen lief (USA 2011, Regie: Francis Lawrence, immerhin mit Reese Witherspoon und Christoph Waltz), hat vielleicht die eine oder der andere von Euch Lust auf das Buch bekommen. Hier ist meine Besprechung anlässlich der deutschen Erstveröffentlichung 2009:

Kennen Sie Julius Fucik? Ich kannte ihn nicht. Aber Julius Fucik ist der Komponist des als „Zirkusmarsch“ berühmt gewordenen Stückes „Einzug der Gladiatoren“, und ohne den Klang seiner Musik, die auch das älteste Zirkuspferd noch in Bewegung setzen kann, hätte ich diese Besprechung nicht geschrieben: eigentlich sollen hier nur deutschsprachige Originalausgaben vorkommen.

Schon 2001 erschien „The Circus Fire“, deutsch 2003 als „Der Zirkusbrand“ von Stewart O´Nan, den manche den „Steven King für Intellektuelle“ nennen. Ich habe dieses Buch, das minutiös den Ablauf des größten Zirkusbrandes in der amerikanischen Geschichte rekonstruiert (1944 brannte Ringling Brothers Barnum and Bailey´s Circus in O´Nans Heimatstadt Hartfort, Connecticut, vollständig ab. Der Brand kostete 167 Menschenleben), mit größter Spannung gelesen. Noch nie habe ich eine so detailreiche Schilderung der großen amerikanischen Zirkusse, die mit dem Zug über Land fuhren und ganze Zeltstädte errichteten, gelesen.

Und nur aus Interesse für die amerikanische Zirkuswelt habe ich mir dann auch Sara Gruens „Wasser für die Elefanten“ vorgenommen, und obwohl darin auch viel vom Elend, Hunger und Tierquälerei die Rede ist, habe ich wieder ein Stück von der Faszination wahrgenommen, die einem beim „Zirkusmarsch“ in die Beine fährt.

Jacob Jankowski, der Held und Erzähler, verbringt neunzigjährig seine letzten, einsamen und traurigen Tage in einem Altersheim, als die Ankunft eines Zirkus angekündigt wird. Seine Erinnerung lebt auf, und in Rückblicken begleiten wir ihn, wie er vor siebzig Jahren, plötzlich zum Waisen geworden, sein Veterinärstudium abbricht und zu einem drittklassigen Zirkus gerät. Wir lernen, wie Auf- und Abbautrupps ohne Rücksicht auf Gesundheit und Leben der Arbeiter gehetzt werden, welche Arrangements mit den örtlichen Bürgermeistern und Polizeichefs getroffen werden müssen und welche Tiere sich am besten dazu eignen, in Falle von Geld- und Nahrungsknappheit an die wertvolleren Artgenossen verfüttert zu werden. Der Direktor von „Benzinis spektakulärster Show“, stets getrieben vom Vorbild der größeren, reicheren Zirkusse mit besseren Attraktionen, ist dadurch halbwegs erfolgreich geworden, dass er aus den Hinterlassenschaften pleitegegangener Kollegenzirkusse die „Sahnestücke“ kauft, vorzugsweise missgebildete Menschen oder spektakuläre exotische Tiere; eines Tages gerät so endlich auch die Elefantenkuh Rosie in die Zirkusmenagerie.

Wir lernen, warum diejenigen, die prahlend davon erzählen, im Zirkus hätten sie helfen dürfen, den Elefanten Wasser zu holen, nur Aufschneider sind, und dass Elefanten klug und verfressen, aber nicht unbedingt vielsprachig sind. Natürlich gerät der junge Jankowski auch in die Irrungen und Wirrungen der Liebe und wir erfahren, womit sich die amerikanischen Männer im Zirkus vergnügten, während ihre Frauen die Menagerie besuchen.

Vielleicht ist die einzige Kritik, die Sara Gruens Buch ertragen muss, die, dass es so ein schönes Ende hat. Aber da wissen wir ja schon, wie es zugegangen ist in den Eisenbahnzirkussen der zwanziger Jahre.


Sara Gruen: Wasser für die Elefanten
400 Seiten, Originaltitel: Water for Elephants,
aus dem Englischen von Eva Kemper. Die gebundene Ausgabe ist inzwischen vergriffen, aber antiquarisch leicht und günstig zu finden (ISBN 978-3499258961), als Taschenbuch ist der Band lieferbar unter der ISBN 978-3499248450

Stuart O'Nan: Der Zirkusbrand. Eine wahre Geschichte. (The circus fire) Taschenbuch: ISBN 978-3499237034

Dienstag, 10. März 2015

In der Frankfurter Schirn: Künstler und Propheten

Die Frankfurter Schirn zeigt

KÜNSTLER UND PROPHETEN. EINE GEHEIME GESCHICHTE DER MODERNE 1872-1972
6. MÄRZ – 14. JUNI 2015


Ich war sehr neugierig auf die Austellung und hatte mich in Gedanken auf eine ziemlich textlastige Präsentation vorbereitet.  Immerhin hatte ich von den „Inflationsheiligen” schon so viel gehört, dass ich „Monte Verita” und Hermann Hesse damit in Verbindung bringen konnte. Eine Verbindung zur bildenden Kunst war mir dagegen nicht bekannt.

Pamela Kort hat in der Schirn schon mehrfach Projekte kuratiert, zuletzt „Eugen Schönebeck – 1957 – 1967, Schirn Kunsthalle Frankfurt (February – May 2011)” und „I Like America: Fictions of the Wild West, Schirn Kunsthalle Frankfurt (September 2006 – January 2007)”.

Hier schickt sie uns Besucher in eine Präsentation, die zunächst in als Kabinette angeordneten Abschnitten der Ausstellung Leben und Werk einzelner Künstler präsentiert. Wem nicht mindestens die Grunddaten Deutscher Geschichte von 1871 bis 1971 bekannt sind, wird Mühe haben, sich die aussergewönlichen Figuren und ihr Leben zu sortieren. Tatsächlich ist einiges an Drucksachen und Fotografien in Vitrinen präsentiert, an den Wänden dazu kurze Einführungen zu Leben und Wirken. Ich hätte aber lieber noch mehr gelesen (und hatte mir ganz gegen meine Gewohnheit in der Hoffnung auf Hintergrundinformationen einen Audioguide ausgeliehen, der diese Hoffnung aber nicht erfüllte). Ein Zugang zu den Beweggründen der Künstler fehlt ebenso wie ihre Einordnung in die gesellschaftspolitischen Strömungen der Zeit.

Der Eingang zur Ausstellung führt durch einen labyrinthisch verschachtelten Gang, dessen Wände weit oben mit Teilen von Diefenbachs Fries "per aspera ad astra" geschmückt sind.

Teil des Frieses "per aspera ad astra" von Karl Wilhelm Diefenbach (1892)

Teil des Frieses "per aspera ad astra" von Karl Wilhelm Diefenbach (1892)

Teil des Frieses "per aspera ad astra" von Karl Wilhelm Diefenbach (1892)


Schon hier - und später an anderen Stellen erneut - konnte ich übrigens die Überlegung nicht vermeiden, wie lange es noch dauern wird, bis die (hier tatsächlich fast aufdringliche) Verherrlichung des jungen, gerne nackten, Kindes als Sinnbild von Reinheit und unverdorbener Natürlichkeit (mal wieder) nicht mehr öffentlich gezeigt werden kann.  „Nackte Kinder in nicht das Geschlecht in den Mittelpunkt stellenden Posen” (wir haben diesen Begriff in den letzten Monaten lernen müssen) gibt es hier jedenfalls zuhauf.

Die frühen Künstler, Karl Wilhelm Diefenbach, Gusto Gräser, Johannes Baader, Gustav Nagel, Friedrich Muck-Lamberty sowie Ludwig Christian Haeusser sind jeder einzelne so aussergewöhnlich und von messianischer „Geschicktheit” erfüllt, das ihr Leben durchgeknallter nicht erfunden werden könnte. Ob das beim Einzelnen eher bewusst gewählte künstlerische Attitüde, eine leichte Form des Wahnsinns oder nur zynisch berechnende Spekulation auf Lebensunterhalt war, wird nicht hinterfragt.

Baader z.B. tritt 1922 auf der Jugendburg Ludwigstein auf:

„Ich bin der Oberdada und werde die Geschicke der Burg in meine Hand nehmen.
Wo kann ich schlafen, und wann wird hier gegessen?"


Aufruf zur Ausrufung Baaders zum Präsidenten des Erdballs, Berlin 1919
Zusammen mit den Berliner Dadaisten um Grosz und Huelsenbeck annonciert er 1919 seine Ausrufung zum Präsidenten des Erdballs. Dass er sich auf Ernst Haeckel, den Zoologen, Darwinisten, Evolutionstheoretiker und Begründer des Deutschen Monistenbundes bezieht, hätte ich wie so viele andere „Bezüge” der Künstler in dieser Ausstellung, gerne ausführlich erläutert gesehen. Gusto Gräser („nennt mich Gras”), Friedrich Muck-Lamberty und Ludwig Christian Haeusser ziehen in mönchischen Gewändern durch Deutschland und predigen ein vegetarisches „zurück zur Natur” (sich den küftigen Führern hingebende Damen werden gelegentlich gerne genommen). 

Bei wikipedia finde ich zu Baaders weiterem Leben:
In der unsicheren Zeit hatten religiöse Schwärmereien zugenommen, und es war 1930 in Thüringen ein Kongress der verschiedenen vermeintlichen Christus-Wiedergänger der Zeit (die sogenannten Inflationsheiligen) und ihrer Anhänger veranstaltet worden. Baader flog mit einem Flugzeug der Lufthansa auf das Gelände, hatte einen großen Auftritt als wahrer Christus und verließ den Ort und die sprachlosen Anwesenden wieder. Seit 1941 arbeitete er wieder als Architekt.
Johannes Baader starb im Alter von 79 Jahren 1955 in einem Altersheim in Niederbayern.
1920 zieht  Friedrich Muck-Lamberty mit einer Art Kinderkreuzzug durch Thüringen; Hermann Hesse hat das in „Morgenlandfahrt” 1932 verewigt.

Mit Egon Schiele beginnt in der Ausstellung die Reihe der Künstler, die ihr „Prophetentum” (etwas) weniger ausdrucksstark lebten. Kort zählt auch ihn, Heinrich Vogeler und die Nachkriegskünstler Beuys, Immendorff und Hundertwasser dazu. Das bereichert die Ausstellung jedenfalls mit einigen großartigen Bildern.

Egon Schiele: „Frontal knieender weiblicher Akt” und „Männlicher Akt”. 1912

Vogelers Agitationsbildern stellt die Ausstellung eine Serie von Immendorff-Tölpeleien gegenüber, die ich mich in den Siebzigern gemalt zu haben bis heute schämen würde,

Heinrich Vogelers „Agitationsbilder”, rechts „Winterkulturkommando” von 1924   








Jörg Immendorff „Agitprop”


und zwar sowohl des agitatorischen wie des künstlerischen Ausdrucks wegen, und obwohl ich gestehe, einmal aus agitatorischen Gründen einen Streusselkuchen gebacken zu haben, auf dem mit Kakaostreusseln geschrieben stand „Omans Volk braucht Schulen” ...

Ich bedaure nicht, die Ausstellung gesehen zu haben, vermisse aber die stringente Verbindung zumindest zu den Nachkriegskünstlern; hier scheint mir der Zusammenhang ein wenig herbeigezogen zu sein. Und unter welchen Umständen, welchem eigenen Selbstverständnis und mit welcher gesellschaftlichen Reaktion die Gurus der zwanziger Jahre Deutschland unsicher machten, werde ich mir noch an anderer Stelle „anlesen” müssen. So bleibt der Ausstellungsbesuch eine Anregung, aber das ist ja schon mehr, als was von manch anderer gesagt werden kann.

Der 500-Seiten-Katalog, den die Kuratorin ganz alleine geschrieben hat, war mir für 38 € (Ausstellungspreis, Ladenpreis 58 €) zu teuer; wikipedia nennt den vergriffenen Band „Ulrich Linse: Barfüßige Propheten. Erlöser der zwanziger Jahre” 1983 bei Siedler erschienen und leicht antiquarisch zu finden, als Quelle.

 Die Feuilletons brachten anlässlich der Eröffnung zwei sehr unterschiedliche Besprechungen: Annette Krämer-Alig beklagt im Darmstädter Echo  die „schwache Argumentationslinie” der Ausstellung, Julia Voss dagegen lobt hier in der FAZ „Und es ist endlich eine Schau, die sich etwas traut, endlich eine Schau, die eine neue, eigene, ganz andere Geschichte erzählt.”

Ich stehe nicht an, beiden zuzustimmen: Frau Krämer-Alig hat recht, weil die  „Neuen” sich doch auf ganz andere Bezüge beriefen als die 20-Jahre-Propheten, und Frau Voss hat recht, weil die Ausstellung es wagt, biografische Information gleichwertig neben die Präsentation von nicht immer erstklassiger Kunst zu stellen (auch wenn das noch nicht perfekt gelungen ist).

Einen Besuch aus dem Rhein-Main-Gebiet ist die Ausstellung allemal wert.

Nachtrag vom 7.4.:

Ulf Erdmann Ziegler hat die Ausstellung besucht und für die taz gründlich und sehr kritisch besprochen: „Da ist durchaus etwas an der Rückseite utopischer Bewegungen, ein patriarchaler Wahn, der einen stutzig macht. Man sollte das, wenn man irgend kann, benennen. "Künstler und Propheten" verklärt durchgeknallte Christusgurus zu Präfigurationen sensibler Künstlerschaft. Das ist Irrsinn. Diese Ausstellung zeichnet den Diskurs der Sektierer nicht nach, sie sitzt ihm auf.”

Sonntag, 8. März 2015

Export ins Abendland ist keine Lösung

Letzten Sonntag habe ich hier ein paar Bemerkungen anlässslich des schrecklichen Wütens des sogenannten islamischen Staates unter den unersetzlichen Kunstwerken im Irak veröffentlicht.

In der vergangenen Woche habe ich dazu noch manches gelesen; mir fiel dabei auf, mit welchem überheblichen Ton da über die irren Muslime, durchgeknallten Bilderstürme usw. usf. geschrieben wurde.

Besonders geärgert habe ich mich immer dannn, wenn mehr oder weniger deutlich bemerkt wurde, die schützenswerte Kunst könne es bei uns doch viel besser haben als bei den ignoranten Idioten da unten, und die ganze Welt könne doch nur froh sein, dass bspw. die sogenannten Elgin-Marbles von der Akropolis oder das Ischtar-Tor aus Babylon in der Sicherheit des britischen Museums oder des Pergamons-Museums stünden und nicht im Zugriff irgendwelcher Marodeure.

Ich spare mir die Wiedergabe der umfangreichen Diskussionen darüber, ob und welche Kunstwerke „legal” ausser Landes gebracht wurden und daher „zu recht” in unseren Museen stehen; darum geht es hier nicht. 

Das Ischtar-Tor im Pergamon-Museum Berlin

Ein paar der „Elgin-Marbles" von der Athener Akropolis im British Museum. London

Eine ganz kleine Web-Suche könnte die Großmäuligkeit der hochkulturellen Kunstbewahrerinnen ins rechte Licht setzen - unter „Kunst Kriegsverluste Deutschland" fand ich bei google ohne jede Mühe 44.600 Einträge, die aufs mannigfaltigste illustrieren, was unsere Hochkultur vor grade mal 70 Jahren so alles dem Orkus übergeben hat. Als einen der wirklichen zahlreichen Belege zitiere ich hier aus einer Aufstellung der „Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg” -

„Opfer von Bomben und Kampfhandlungen wurden meist immobile Kunstwerke wie die Schlösser und die mit ihnen verbundenen Raumschöpfungen und Skulpturen. Betroffen waren vor allem Werke von Schlüter, Eosander, Knobelsdorff, Nahl, den Gebrüdern Hoppenhaupt, Gontard, Erdmannsdorff, Langhans und Schinkel sowie die Schlösser Berlin, Monbijou, Potsdam, Schwedt und große Teile des Schlosses Charlottenburg. Die stark beschädigten, aber rekonstruierbaren Schlösser von Berlin und Potsdam wurden später unter der DDR-Regierung gesprengt.”

Und komme mir niemand mit dem Einwand, im Irak würde die Kunstwerke ja nicht „aus Versehen”, sondern geplant zerstört und das mache einen Unterschied. Die „Reinigung” unserer Museen und Bibliotheken durch die Nazi-Vandalen z. B. fand über 12 Jahre systematisch und ziemlich erfolgreich statt.

Kunst und Kultur sind  immer Kollateralverluste kriegerischer Auseinandersetzungen, und das ändert sich nicht durch die Verlagerung von Kunstwerken, sondern nur durch die Abschaffung des Krieges.

Dazu, wie die Lage ist, dass Zerstörung nicht erst gestern einsetzte und was nun zu tun ist, schreibt Markus Hilgert am 7.3. hier in der FAZ. 


Sonntag, 1. März 2015

Das Konzept der Freiheit nicht den Neoliberalen überlassen

Angesichts der Bilderstürmereien des sogennanten islamischen Staates komme ich auf eine Parallele in unserer Geschichte, die einerseits unendlich lange her ist, andererseits aber erschreckende Parallelen zeigt und bis heute fortwirkt. Kersten Knipp meint in einem Kommentar für den Deutschlandfunk: „ ... Denn nirgends, in Syrien und im Irak genauso wenig wie anderswo auf der Welt, lassen sich die Menschen auf Dauer vorschreiben, was sie zu denken und zu glauben haben.” Bleibt zu fürchten, dass dieses „auf die Dauer” auch mal länger dauern könnte als die von ihm genannten Beispiele der letzten 200 Jahre. 

Ich denke an den Untergang des römischen Imperiums nördlich der Alpen und das danach anbrechende dunkle Zeitalter, aus dem wir so wenig wissen, dass historistische Abenteurer den Versuch gemacht haben, es für nie existierend und erfunden zu erklären.

Den Stand der im 5. Jahrhundert erreichten Zivilisation können wir heute noch ahnen, wenn wir in Trier, Xanten oder Bad Kreuznach die Reste römischen Wohnens besichtigen. Von Warmluftheizung über Badekultur und Abwasserhygiene, von Ackerbau, Viehzucht und Vorratshaltung zu Literatur, Malerei und bildender Kunst, nicht zuletzt auch Philosophie und Religion, herrschten Umstände, die wir uns bis heute als durchaus angenehm und lebenswert vorstellen können (natürlich besonders für Mitglieder der herrschenden Klasse, aber ich denke, auch die meisten Sklaven und mit den Römern verbundenen „freien” Bauern hätten ihr Leben im römischen Kulturkreis einer rauchigen Lehmhütte im norddeutschen Torfland vorgezogen).

Bad Kreuznach. Modell der römischen Villa
Zustand um 200 uZ

Bad Kreuznach Römische Villa
Detail aus einem der erhaltenen Bodenmosaiken
Im Beitrag „Der Untergang des römischen Reiches" bei wikipedia sind die unterschiedlichen Theorien und Erklärungen für das Ende Roms in Mitteleuropa gut und ausführlich diskutiert. Trotz der sehr unterschiedlichen Erklärungsansätze bleibt als Fakt, dass schließlich gotische, germanische und hunnische Stämme herrschten, wo früher römisches Reich gewesen war.

You know what I mean:
Iron age house ca. 400 AD. Reconstruction at Moesgaard Museum near Aarhus, Denmark.
Foto von Sten Porse, Gefunden im wikipedia-Beitrag "Germanen"

Die „Barbaren” der Vergangenheit, von denen wir vermuten müssen, dass wir mehr von deren Genen als von denen der Römer in uns tragen, übernahmen die Macht. Und eine Kultur ging unter, deren Errungenschaften zum Teil erst nach fast 1.000 Jahre wieder erreicht wurden. Biologinnen haben nachgewiesen, dass Hausvieh wie Rinder und Schweine erst zu Beginn der Neuzeit wieder die Größe und Leistungsfähigkeit erreichte, die römischer Zuchtverstand bereits erzielt hatte. Ähnliches gilt für Agrarprodukte. Der fast vollständige Untergang der Schriftkultur, die nicht einmal in Klöstern überleben konnte, sondern Jahrhunderte später aus Irland, wo sie buchstäblich überwinterte, wieder eingeführt werden musste, ist ein anderes Beispiel für die vollständige Dunkelheit dieser Zeit.

Während ich mir also Gedanken darüber mache, dass primitive Bilderstürmer Gesellschaft und Kultur tatsächlich um viele Jahrhunderte zurückwerfen können, veröffentlicht die „WOZ” einen Aufsatz des zur Zeit fast omnipräsenten griechischen Finanzministers Varoufakis aus dem Jahr 2013.  Er erklärt sich darin zu den Thesen in seinem in Kürze auf Deutsch erscheinenden Text


Yanis Varoufakis / James K. Galbraith / Stuart Holland
Bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise


Zur Frage der aktuellen Finanzkrise und den Konsequenzen daraus schreibt er:

„ ... Für mich ist die Antwort klar. Die Krise in Europa wird wohl kaum eine bessere Alternative zum Kapitalismus hervorbringen, sondern viel eher gefährliche rückwärtsgewandte Kräfte entfesseln, die ein Blutbad verursachen und gleichzeitig jede Hoffnung auf Fortschritt auf Generationen hinaus vernichten könnten. ... Im 20. Jahrhundert haben sich zwei politische Bewegungen auf das marxsche Denken bezogen, nämlich die kommunistischen und die sozialdemokratischen Parteien. Beide – zusätzlich zu ihren anderen Fehlern (und Verbrechen) – versäumten es zu ihrem eigenen Schaden, Marx in einer zentralen Hinsicht zu folgen: Anstatt Freiheit und Vernunft als die zentralen Schlachtrufe und Konzepte zu übernehmen, entschieden sie sich für Gleichheit und Gerechtigkeit und überliessen so das Konzept der Freiheit letztlich den Neoliberalen. ... ” 

Gerade also angesichts der - vorgeblich ja übrigens auch antikapitalistischen - Verbrechen im nahen Osten dürfen wir nicht vergessen, dass Wendungen zum Schlechten überall, jederzeit und für Jahrhunderte möglich sind. Sage nun niemand, dass ein so vollständiger Verfall heute nicht bevorstehe, ja nie mehr eintreten könne. Es ist noch keine 100 Jahre her, dass der Versuch, ein tausendjähriges Reich zu errichten, noch viel wilder wütete, als es der sogenannte islamische Staat bisher vermag. Varoufakis hat recht:

Es geht darum, das Konzept der Freiheit zu verteidigen. 








Montag, 19. Januar 2015

Besichtigt und zu seicht gefunden - „Karl” im Landesmuseum Darmstadt

Das Darmstädter Landesmuseum habe ich hier ja schon mehrfach erwähnt. Gestern sind wir dort gewesen, um die erste Sonderausstellung nach der Wiedereröffnung zu sehen. „Karl - 1200 Jahre Mythos und Wirklichkeit” wollten wir nicht verpassen, die Ausstellung soll am 25.1. enden. Die Karl-Ausstellungen in Aachen und in Ingelheim haben wir leider verpasst. Zum moderaten Eintrittspreis von 6 € erhebt das Museum weitere 4 €; ein Besuch alleine der Sonderausstellung ist nicht möglich. Die Zahlung dieses zusätzlichen Einritts wird an der Kasse handschriftlich auf der Eintrittskarte vermerkt, dieser Eintrag wird am Eingang zum großen Saal kontrolliert. Die Schlange an der Kasse war so lang, dass ich mir den Versuch erspart habe, um eine seriöse Quittung für die erfolgte Zahlung zu bitten.

Vorab: den Besuch hätten wir uns sparen können: selten habe ich eine derart uninspiriert zusammengeschusterte Präsentation gesehen.

Bei den Eröffnungsfeierlichkeiten und -Publikationen wurde stets erwähnt, mit der Wiedergewinnung des großen Saales stehe jetzt endlich ein geeigneter Raum für Sonderausstellungen zur Verfügung.

Der große Saal des Landesmuseums am 13. 9. 2014 
Zum Überfluss meines Ärgers ist in der Sonderausstellung auch noch das Fotografieren verboten - das folgende, dennoch gemachte Foto wurde mir anonym übermittelt:

Erstnutzung des großen Saales durch Verkleinerung 


In den schönen, lichten, weiten Raum wurden kleine schwarze Besichtungs-Boxen gestellt, offenbar, weil eine andere Form des Lichtschutzes für das empfindliche Ausstellungsgut nicht gefunden wurde. Allerdings handelt es sich bei einem erheblichen Teil des Ausgestellten um Reproduktionen, Gegenstände des 19. und 20. Jahrhunderts sowie lichtunempfindliche Keramik- und Metall-Objekte. Eine einzige, dazu ausreichend große, Box für das empfindliche Material ließe sich sicher ansprechend gestalten und aufbauen; der große Rest hätte allerdings seine Beliebigkeit vor der Kulisse des Saales eingestehen müssen. 

Wünsche und Absichten der Ausstellungsmacher hat die lokale Presse brav übermittelt, ohne sich zu formaler oder inhaltlicher Kritik zu versteigen (online findet sich das leicht und wird daher hier mangels Bedeutung nicht eigens verlinkt...). Matthias Friedrich hat im Wiesbadener Kurier immerhin bemerkt: „Angesichts der Fülle der Themen und Motive erscheinen die 480 Quadratmeter Ausstellungsfläche im renovierten Großen Saal des Landesmuseums freilich als zu knapp, um vielen Fragen tiefer nachgehen zu können.” und Annette Krämer-Alig schrieb im Darmstädter Echo: „Dass es nicht leicht ist, den architektonisch wunderschönen „Großen Saal“ mit einer solchen Schau zu bespielen, wird schon beim Betreten der Schau klar.”

Welche Chancen wurden hier vergeben! Ich fürchte, das Kloster Lorsch, das Karl ja sicher besucht hat, wird in der Ausstellung nicht einmal erwähnt, die Präsentation einiger wirklich wunderbarer Handschriften hinter spiegelnden Vitrinenwänden auf zu niedrigen Podesten vergibt alles, was damit erreicht werden könnte, die Information, dass die unter Karl eingeführte Unziale von größter Bedeutung für ganz Europa war, wird mit keinem einzigen Beleg ERLÄUTERT und an keiner Stelle wird gegenübergestellt, wie vorher und nachher geschrieben wurde.  Und die Beschriftung! Weil ja schon mal die Boxen abgedunkelt sind, wurden die Texte, damit sie nicht auffallen, weiß auf schwarz und natürlich in serifenloser Antiqua gesetzt - spätestens seit sich Hans Peter Willberg (dessen Bedeutung in diesem wikipedia-Eintrag nicht ausreichen gewürdigt wird), mit Lesbarkeit der Typographie beschäftigt hat, dürfen solche Fauxpas nicht mehr passieren. Und damit der viele Text nicht so doll stört, sind die Buchstaben auch schön klein gesetzt und die Tafeln in Hüfthöhe der Betrachter angebracht. Welche Chance, gerade anlässlich der Präsentation der karolingischen Schriften eine Lehre für heute zu ziehen und verständlich zu machen, wurde damit vergeben! Einem noch älteren Herrn als mir, der sich beim Gehen bei dem Aufsichtführenden darüber beschwerte, antwortet der doch wirklich in all seine Hilflosigkeit, er habe schon viele dieser Klagen gehört, es sei ihm aber gesagt worden, die Beschriftung entspreche einer EU-Norm. Nun wird eine Klage ja nicht weniger bedeutsam, wenn ihr eine EU-Norm widerspricht (ganz im Gegenteil...), aber so idiotisch kann nun weder die EU sein, dass sie das als Norm vorgibt, noch eine Kuratorin, dass sie das akzeptiert.

Die Belege für die Wiederkehr Karls  in der Geschichte scheinen mir völlig beliebig zusammengetragen, vollständig sind sie sicher nicht, repräsentativ kamen sie mir auch nicht vor. Die großartige Karikatur von Wilhelm des ab dann I. Einzug 1871 in Paris als Wiedergänger Karls auf einem Schwein reißt es alleine halt auch nicht raus.

Mir war seit der ersten Ankündigung nicht klar, warum sich das wunderbare Darmstädter Museum mit einer Sonderausstellung schmücken wollte, die mit seiner nun wahrlich umfangreichen Sammlung gerade nicht besonders viel zu tun hat (ja, ich weiß, die Elfenbeintafeln stammen zum Teil aus Darmstadt...). Hier auf dem Dorf nennt man vergebliche Anstrengungen, den eigenen Rang nach oben zu heben, „mit den großen Hunden pissen gehen wollen”. Dabei hat sich in Darmstadt leider wer die Schuhe nass gemacht ...



Freitag, 9. Januar 2015

Je étais charlie

Ich spreche nicht französisch, und das Beste, was ich über meinen Umgang damit sagen kann, ist, dass ich „übersprochenes" oder untertiteltes Französisch ganz gut nachvollziehen kann. Ich bedaure das sehr.

Ich mag keine Comics. Fast immer sind mir gezeichnete Illustrationen beim Lesen einfach im Weg. Die Comics meiner Jugend waren Mickey Mouse, Donald Duck und Asterix. Ich ärgerte mich immer, wenn ich die teuren Hefte nach wenigen Minuten ausgelesen hatte - dass bisschen Text war ja schnell konsumiert. Wenn mir was davon in Erinnerung blieb, dann - Text.

Vielleicht ist das ein Schwäche. Ich fürchte jedenfalls, dass sich das für mich nicht mehr ändern wird. Wenn mich unvorhersehbare Umstände nicht in frankophone Verhältnisse begeben, werde ich mich auf französisch nicht mehr verständigen können, geschweige denn lesen. Und so lange noch ein bisschen interessanter deutscher Text zu lesen bleibt, werde ich meine Zeit nicht mit dem Angucken von gezeichneten Geschichten verbringen.


Es steht ausser jeder Frage, dass die Mörder von Paris trotzdem mich ganz persönlich angegriffen haben - und dass ich jede Gelegenheit ergreife, JEDE Form von Pressefreiheit zu verteidigen.

 Antje Schrupp hat getwittert:

Wer jetzt meint, alle müssten die Karikaturen von toll finden, hat das Konzept der Meinunsfreiheit auch eher nicht verstanden.

Genau.

Ich muss kein Freund von Comics sein oder von dem mir eher grobsachlächtig erscheinenden Humor der Redaktion von Charlie Hebdo. Ich muss einfach nur nachdenken um rauszufinden:

Die Mörder haben mich angegriffen.


Demo-Selfie

Am Donnerstag waren wir in Frankfurt unterwegs und sind dann natürlich um 19 Uhr dem Aufruf zu einer Solidaritätsversammlung an der Hauptwache gefolgt. 6 - 800  Menschen trafen sich und guckten betroffen-friedlich-feucht umher. Ich war überhaupt nicht überrascht, meine gute Freundin Christa, die ich wirklich fast ein Jahrzehnt lang nicht mehr getroffen hatte (shame on me) dort zu treffen. Das alleine hätte natürlich den Weg nach Frankfurt mehr als gerechtfertigt, und ich verspreche auch, dass ein nächstes Mal nicht wieder zehn Jahre lang dauern wird!


Hauptwache Frankfurt am 8.1.15 -
nur da sein, nicht diskutieren 


Die Demonstrationsform allerdings hat mir überhaupt nicht gepasst. Günter Anders soll auf die Aufforderung, irgendwo an einer Aktion „Schweigen für den Frieden” teilzunehmen, geantwortet haben „Schinkenbrötchen essen hätte mehr Effekt”. Christa wusste, dass die „Organisatorin” der Demo wünschte und vor Ort noch einmal betont habe, dass „hier nicht diskutiert, sondern Solidarität ausgedrückt werden” solle.

Ich halte Diskutieren für solidarischer und nutzbringender als Schweigen.

Heute Abend (9. 1.) bin ich

um 18 Uhr zum Solidaritätstreffen für Charlie Hebdo auf dem Darmstädter Friedensplatz

und es würde mich sehr freuen, dort mit vielen Menschen zu diskutieren - und nachdem ich mich an der Hauptwache nicht getraut habe, „Die Gedanken sind frei” anzustimmen, kriegen wir das ja vielleicht heute hin.


NACHTRAG vom 10.1.15:

Wie angekündigt war ich gestern dann auch bei der Versammlung in Darmstadt am Friedensplatz.

Das Darmstädter Echo berichtet hier mit einer ausführlichen Bildergalerie; das Alter der dort Befragten ist allerdings nicht representativ für die Anwesenden, die ich gesehen habe. Mir schien es in Darmstadt wie in Frankfurt ein Treffen der „Ü 50” zu sein.

Darmstadt, 9. 1. 2015: Solidarität mit Charlie Hebdo

Thomas Heldmann, Anna Laehdesmaeki, Oskar (unten, nicht im Bild),
solidarische DarmstädterInnnen und Ludwig IV, wie üblich unbeteiligt

Darmstadt, 9.1.2015: Solidarität mit Charlie Hebdo



Wenn es auch nicht bis zum Singen von „Die Gedanken sind frei” kam, so wurde doch immerhin „We shall not be moved” angestimmt, ergriff die Versammelten aber nicht wirklich.

Darmstadt, 9. 1. 2015: Solidarität mit Charlie Hebdo

Darmstadt, 9. 1. 2015: Solidarität mit Charlie Hebdo

Bürgermeister Reißer sprach unplugged und war nur
für die unmittelbar Umstehenden zu verstehen.


Einen ausführlichen eigenen Beitrag verdient die Frage, warum unsere Nachbarn bei vergleichbaren Treffen ziemlich selbstverständlich ihre martialische Nationalhymne sangen, was auch ganz bürgerlichen Demokraten hier in Deutschland überhaupt nicht in den Sinn kommt.

Zu den Waffen, Bürger,
Formt eure Truppen,
Marschieren wir, marschieren wir!
Unreines Blut
Tränke unsere Furchen! 
(Refrain der Marseillaise)