Dienstag, 9. Juni 2015

Börne über die Vergeblichkeit von Postzensur


* 6. Mai 1786 in Frankfurt am Main, † 12. Februar 1837 in Paris

Auf twitter veröffentliche ich seit letzter Woche unter @Ludwig_Boerne täglich einen Börne-Aphorismus. Gelegentlich werde ich hier den vollständigen Text posten, so in diesem Fall, der für Börnes unglaubliche Aktualität steht: 

Aus einer Rede, die der Abgeordnete Girardin in der französischen Kammer gehalten, erfährt man, daß unter der alten königlichen Regierung die Briefe auf der Post eröffnet wurden, daß dieses unter Napoleon auch geschah und daß es jetzt noch immer geschehe. Sooft man mit manchen Staatsmännern von dergleichen Gegenständen spricht, lächeln sie, und das ist auch wirklich das beste, was sie tun können, denn wie ließe sich ein Lächeln widerlegen? Es ist ein Alphabet, worin die Bestandteile aller möglichen Meinungen enthalten sind. Was antworten sie aber darauf, wenn man sie fragt: haben jene Eingriffe in das Eigentum Ludwig XVI. gerettet, haben sie Napoleon vor dem Untergange bewahrt? Wenn man sie fragt: haben tausend abgeschmackte Polizeikünste, deren Anwendung man sich immer noch nicht schämt, haben sie die spanische, die portugiesische und andere Revolutionen, haben sie den Abfall der südamerikanischen Staaten verhindert? – Was werden sie darauf erwidern können? Werdet ihr nie begreifen, daß ihr es nicht mit Personen zu tun habt, sondern daß euch Sachen feindlich gegenüberstehen, und daß eine Sache, wie die Luft, unverwundbar ist? Ihr jubelt, wenn es euch gelang, einen kleinen Raum luftleer zu machen, und ihr vergesset, daß es dann um so gefährlicher ist für euch, weil in luftleeren Räumen fallende Körper um so schneller fallen. Freilich sind solche Reden vergebens, und man wird damit ausgelacht; aber es ist besser, den Atem als den Verstand verlieren.