Sonntag, 21. Juni 2015

In einer deutschen Amtsstube riecht alles nach der Apotheke

Herr von Hornthal hat in der bayerischen Kammer der Abgeordneten den Antrag gemacht,

daß man die bestehenden strengen Verordnungen über die pflichtmäßige Verschwiegenheit der Beamten, 

als unvereinbar mit einer konstitutionellen Regierung, aufheben oder lindern möchte. 


Das ist ein Wort zu seiner Zeit, aber freilich nur ein Wort, und zu einer langen Rede wäre Stoff genug vorhanden. Wenn irgend eine Regierung geheimnisvoll verfährt, so ist dies das Traurigste nicht – das Traurigste wäre, wenn sie das Bedürfnis fühlte, so zu verfahren.
Wenn bestehende und bekannte Gesetze in gegebenen Fällen nach voraus bestimmten Regeln angewendet werden, wozu täte dann Verschwiegenheit der Beamten not? Sollte man nicht vielmehr jede Gelegenheit benutzen, den Bürgern, die sich selten auf den theoretischen Wert der Gesetze verstehen, bei deren Ausübung zu zeigen, wie nützlich sie sind? Wozu jener Hokuspokus und aller sonstiger Schnickschnack, dem man in dem Treiben der Beamten so oft begegnet?
Ernst soll der Gesetzgeber, streng der Richter, aber der Verwaltungsbeamte kann nicht heiter, nicht freundlich, nicht zutraulich, nicht offen genug sein. Man muß denjenigen Teil der Regierung, der heilkünstlerisch verfährt und die Schärfe des wundärztlichen Messers wie die Bitterkeit der Arzneien nicht erlassen kann, von demjenigen unterscheiden, der die Lebensordnung der Bürger regelt und sich nur der Hausmittel bedient.
Aber in einer deutschen Amtsstube riecht alles nach der Apotheke. Tritt man hinein, so geschieht von zweien Dingen eins. Entweder man ist unerfahren, und dann fühlt man sich das Herz wie zugeschnürt über diese ängstliche Stille, diese Grämlichkeit der Beamten und ihr geisterartig hohles und gefühlloses Reden. Oder man kennt die Welt, und dann lächelt man nur allzu viel, weil man nur allzu gut weiß, daß diese finstern Götter so unerbittlich nicht sind. In dem einen Falle geht die Liebe, in dem andern die Achtung verloren.

(Ludwig Börne)