Freitag, 9. Januar 2015

Je étais charlie

Ich spreche nicht französisch, und das Beste, was ich über meinen Umgang damit sagen kann, ist, dass ich „übersprochenes" oder untertiteltes Französisch ganz gut nachvollziehen kann. Ich bedaure das sehr.

Ich mag keine Comics. Fast immer sind mir gezeichnete Illustrationen beim Lesen einfach im Weg. Die Comics meiner Jugend waren Mickey Mouse, Donald Duck und Asterix. Ich ärgerte mich immer, wenn ich die teuren Hefte nach wenigen Minuten ausgelesen hatte - dass bisschen Text war ja schnell konsumiert. Wenn mir was davon in Erinnerung blieb, dann - Text.

Vielleicht ist das ein Schwäche. Ich fürchte jedenfalls, dass sich das für mich nicht mehr ändern wird. Wenn mich unvorhersehbare Umstände nicht in frankophone Verhältnisse begeben, werde ich mich auf französisch nicht mehr verständigen können, geschweige denn lesen. Und so lange noch ein bisschen interessanter deutscher Text zu lesen bleibt, werde ich meine Zeit nicht mit dem Angucken von gezeichneten Geschichten verbringen.


Es steht ausser jeder Frage, dass die Mörder von Paris trotzdem mich ganz persönlich angegriffen haben - und dass ich jede Gelegenheit ergreife, JEDE Form von Pressefreiheit zu verteidigen.

 Antje Schrupp hat getwittert:

Wer jetzt meint, alle müssten die Karikaturen von toll finden, hat das Konzept der Meinunsfreiheit auch eher nicht verstanden.

Genau.

Ich muss kein Freund von Comics sein oder von dem mir eher grobsachlächtig erscheinenden Humor der Redaktion von Charlie Hebdo. Ich muss einfach nur nachdenken um rauszufinden:

Die Mörder haben mich angegriffen.


Demo-Selfie

Am Donnerstag waren wir in Frankfurt unterwegs und sind dann natürlich um 19 Uhr dem Aufruf zu einer Solidaritätsversammlung an der Hauptwache gefolgt. 6 - 800  Menschen trafen sich und guckten betroffen-friedlich-feucht umher. Ich war überhaupt nicht überrascht, meine gute Freundin Christa, die ich wirklich fast ein Jahrzehnt lang nicht mehr getroffen hatte (shame on me) dort zu treffen. Das alleine hätte natürlich den Weg nach Frankfurt mehr als gerechtfertigt, und ich verspreche auch, dass ein nächstes Mal nicht wieder zehn Jahre lang dauern wird!


Hauptwache Frankfurt am 8.1.15 -
nur da sein, nicht diskutieren 


Die Demonstrationsform allerdings hat mir überhaupt nicht gepasst. Günter Anders soll auf die Aufforderung, irgendwo an einer Aktion „Schweigen für den Frieden” teilzunehmen, geantwortet haben „Schinkenbrötchen essen hätte mehr Effekt”. Christa wusste, dass die „Organisatorin” der Demo wünschte und vor Ort noch einmal betont habe, dass „hier nicht diskutiert, sondern Solidarität ausgedrückt werden” solle.

Ich halte Diskutieren für solidarischer und nutzbringender als Schweigen.

Heute Abend (9. 1.) bin ich

um 18 Uhr zum Solidaritätstreffen für Charlie Hebdo auf dem Darmstädter Friedensplatz

und es würde mich sehr freuen, dort mit vielen Menschen zu diskutieren - und nachdem ich mich an der Hauptwache nicht getraut habe, „Die Gedanken sind frei” anzustimmen, kriegen wir das ja vielleicht heute hin.


NACHTRAG vom 10.1.15:

Wie angekündigt war ich gestern dann auch bei der Versammlung in Darmstadt am Friedensplatz.

Das Darmstädter Echo berichtet hier mit einer ausführlichen Bildergalerie; das Alter der dort Befragten ist allerdings nicht representativ für die Anwesenden, die ich gesehen habe. Mir schien es in Darmstadt wie in Frankfurt ein Treffen der „Ü 50” zu sein.

Darmstadt, 9. 1. 2015: Solidarität mit Charlie Hebdo

Thomas Heldmann, Anna Laehdesmaeki, Oskar (unten, nicht im Bild),
solidarische DarmstädterInnnen und Ludwig IV, wie üblich unbeteiligt

Darmstadt, 9.1.2015: Solidarität mit Charlie Hebdo



Wenn es auch nicht bis zum Singen von „Die Gedanken sind frei” kam, so wurde doch immerhin „We shall not be moved” angestimmt, ergriff die Versammelten aber nicht wirklich.

Darmstadt, 9. 1. 2015: Solidarität mit Charlie Hebdo

Darmstadt, 9. 1. 2015: Solidarität mit Charlie Hebdo

Bürgermeister Reißer sprach unplugged und war nur
für die unmittelbar Umstehenden zu verstehen.


Einen ausführlichen eigenen Beitrag verdient die Frage, warum unsere Nachbarn bei vergleichbaren Treffen ziemlich selbstverständlich ihre martialische Nationalhymne sangen, was auch ganz bürgerlichen Demokraten hier in Deutschland überhaupt nicht in den Sinn kommt.

Zu den Waffen, Bürger,
Formt eure Truppen,
Marschieren wir, marschieren wir!
Unreines Blut
Tränke unsere Furchen! 
(Refrain der Marseillaise)