Ich denke an den Untergang des römischen Imperiums nördlich der Alpen und das danach anbrechende dunkle Zeitalter, aus dem wir so wenig wissen, dass historistische Abenteurer den Versuch gemacht haben, es für nie existierend und erfunden zu erklären.
Den Stand der im 5. Jahrhundert erreichten Zivilisation können wir heute noch ahnen, wenn wir in Trier, Xanten oder Bad Kreuznach die Reste römischen Wohnens besichtigen. Von Warmluftheizung über Badekultur und Abwasserhygiene, von Ackerbau, Viehzucht und Vorratshaltung zu Literatur, Malerei und bildender Kunst, nicht zuletzt auch Philosophie und Religion, herrschten Umstände, die wir uns bis heute als durchaus angenehm und lebenswert vorstellen können (natürlich besonders für Mitglieder der herrschenden Klasse, aber ich denke, auch die meisten Sklaven und mit den Römern verbundenen „freien” Bauern hätten ihr Leben im römischen Kulturkreis einer rauchigen Lehmhütte im norddeutschen Torfland vorgezogen).
Bad Kreuznach. Modell der römischen Villa Zustand um 200 uZ |
Bad Kreuznach Römische Villa Detail aus einem der erhaltenen Bodenmosaiken |
You know what I mean: Iron age house ca. 400 AD. Reconstruction at Moesgaard Museum near Aarhus, Denmark. Foto von Sten Porse, Gefunden im wikipedia-Beitrag "Germanen" |
Die „Barbaren” der Vergangenheit, von denen wir vermuten müssen, dass wir mehr von deren Genen als von denen der Römer in uns tragen, übernahmen die Macht. Und eine Kultur ging unter, deren Errungenschaften zum Teil erst nach fast 1.000 Jahre wieder erreicht wurden. Biologinnen haben nachgewiesen, dass Hausvieh wie Rinder und Schweine erst zu Beginn der Neuzeit wieder die Größe und Leistungsfähigkeit erreichte, die römischer Zuchtverstand bereits erzielt hatte. Ähnliches gilt für Agrarprodukte. Der fast vollständige Untergang der Schriftkultur, die nicht einmal in Klöstern überleben konnte, sondern Jahrhunderte später aus Irland, wo sie buchstäblich überwinterte, wieder eingeführt werden musste, ist ein anderes Beispiel für die vollständige Dunkelheit dieser Zeit.
Während ich mir also Gedanken darüber mache, dass primitive Bilderstürmer Gesellschaft und Kultur tatsächlich um viele Jahrhunderte zurückwerfen können, veröffentlicht die „WOZ” einen Aufsatz des zur Zeit fast omnipräsenten griechischen Finanzministers Varoufakis aus dem Jahr 2013. Er erklärt sich darin zu den Thesen in seinem in Kürze auf Deutsch erscheinenden Text
Yanis Varoufakis / James K. Galbraith / Stuart Holland
Bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise
Zur Frage der aktuellen Finanzkrise und den Konsequenzen daraus schreibt er:
„ ... Für mich ist die Antwort klar. Die Krise in Europa wird wohl kaum eine bessere Alternative zum Kapitalismus hervorbringen, sondern viel eher gefährliche rückwärtsgewandte Kräfte entfesseln, die ein Blutbad verursachen und gleichzeitig jede Hoffnung auf Fortschritt auf Generationen hinaus vernichten könnten. ... Im 20. Jahrhundert haben sich zwei politische Bewegungen auf das marxsche Denken bezogen, nämlich die kommunistischen und die sozialdemokratischen Parteien. Beide – zusätzlich zu ihren anderen Fehlern (und Verbrechen) – versäumten es zu ihrem eigenen Schaden, Marx in einer zentralen Hinsicht zu folgen: Anstatt Freiheit und Vernunft als die zentralen Schlachtrufe und Konzepte zu übernehmen, entschieden sie sich für Gleichheit und Gerechtigkeit und überliessen so das Konzept der Freiheit letztlich den Neoliberalen. ... ”
Gerade also angesichts der - vorgeblich ja übrigens auch antikapitalistischen - Verbrechen im nahen Osten dürfen wir nicht vergessen, dass Wendungen zum Schlechten überall, jederzeit und für Jahrhunderte möglich sind. Sage nun niemand, dass ein so vollständiger Verfall heute nicht bevorstehe, ja nie mehr eintreten könne. Es ist noch keine 100 Jahre her, dass der Versuch, ein tausendjähriges Reich zu errichten, noch viel wilder wütete, als es der sogenannte islamische Staat bisher vermag. Varoufakis hat recht:
Es geht darum, das Konzept der Freiheit zu verteidigen.