Gestern Abend haben wir zur altenfreundlichen Aufführungszeit um kurz nach 18 Uhr zusammen mit überraschend zahlreichen weiteren 55 - 70jährigen im Darmstädter Bambi-Kino „Wir sind die Neuen" gesehen.
Was nicht der Rede wert wäre, wenn ich nicht inzwischen - nach dem Kinobesuch - zwei Kritiken gelesen hätte, zu denen ich jetzt noch ein paar Bemerkungen habe.
Am 16.7. hat Oliver Kaever den Film in der ZEIT besprochen, am 20.7. Martina Knoben in der Süddeutschen.
Wir hatten viel Spaß in der wunderbar erzählten Geschichte, bei der der clash of generations witzig und lebensnah präsentiert wird. Und wir haben zusammen mit dem anderen Publikum ständig vergnügt eigene Erfahrungen und Vorurteile wiedererkannt.
Schneeberger, Lauterbach und der wunderbare Michael Wittenborn, der mich ständig nachdenken ließ, woher ich ihn bloß kenne, weil mir sein ganzer Habitus so vertraut war, füllen den Film mit echter Schauspielkunst. Und auch mit weniger Tiefgang wäre der Film schon der drei wegen allemal einen Besuch wert.
Interessanterweise ist es aber gerade ein Stück Tiefgang, den die beiden Rezensenten außer Acht lassen. Die drei Alten werden bis zur Karikatur als ärmlich beschrieben; Schneeberger, die als Anne den Anlass für die WG-Renaissance gibt, muss das tun, weil ihr Geld für eine eigene Wohnung nicht ausreicht, und auch der Jurist Johannes (Wittenborn) lebt - freundlich formuliert - höchst bescheiden. Lauterbachs Eddi scheint allerdings überhaupt keine Biographie zu haben. Die drei-Zimmer-Schlichtwohnung, die die drei schließlich für ihre WG finden, bekommen sie nur, weil Lauterbach sich zur rechten Zeit an die Mutter der Maklerin erinnert (und die an ihn: „Er war ein Arschloch, aber eines der besseren"); sie harrt der Sanierung. Die Möbel, mit denen die drei zusammen ziehen, spotten jeder Beschreibung, die Küche wirkt, als käme gleich Inge Meysel zum Kartoffeln schälen dazu.
Zwei andere alte Freunde, die ebenfalls für das WG-Projekt angefragt werden (unter anderem Gustav Peter Wöhler, der im wirklichen Leben viel zu jung für diese Rolle ist, seine Sache aber ganz großartig macht), leben dagegen in demonstrativ als luxuriös vorgeführten Umständen und verweigern sich mit ätzendem Spott über das Scheitern der alten Freunde.
Ich frage mich, ob es mehr als Klischee ist, dass es den Armen leichter fällt, anständig zu bleiben. Hier jedenfalls wird das fast schmerzhaft deutlich vorgeführt.
*Kurt Tucholsky, Brief an Nuuna, Mai 1934
Nachsatz. Habe grade hier noch ein schönes Interview mit dem Regisseur Ralf Westhoff gefunden, wo „Altersarmut" als Thema des Films erwähnt wird
2. Nachsatz: ich bin jetzt wiederholt auf das reale Alter der Schauspieler angesprochen worden (weil ich Wöhler als jünger empfand). Also Schneeberger: Oktober 1948, Heiner Lauterbach: April 1953, Michael Wittenborn: Mai 1953 und Gustav Peter Wöhler: Juli 1956. Alle Daten aus wikipedia. Bis auf Schneeberger spielen also alle Rentner, obwohl sie im wirklichen Leben wohl noch keine sind. Ob das eine besonders subtile Form von Altersdiskriminierung ist?