In Pfungstadt ist offenbar gerade eine Art von Nachkarneval ausgebrochen. Die beiden großen Parteien haben entschieden, den Begriff Innenstadtsanierung auf die Art und Weise zu interpretieren, die sie am besten beherrschen: Entfernung des Alten ohne Strategie für das Neue.
So
ist seit den sechziger Jahren ein Schmuckstück der Stadtgeschichte
nach dem anderen ohne Not verschwunden und durch Gesichtsloses
ersetzt worden.
Pfngstadt, Borngasse. In der Mitte die Anwesen, die zum Bau der Volksbank in den sechziger Jahren geschleift wurden |
Pfungstadt, Kerb in der Innenstadt. Rechts das abgerissene Haus Jeidl, in der Mitte das Anwesen Borngasse/Mittelgasse |
Die Hofreiten Ecke Mittelgasse/Borngasse und das
gegenüberliegende Fachwerkhaus Ecke Borngasse/Kirchstraße, beide
nicht zuletzt von einiger Bedeutung durch ihre jüdischen Besitzer,
wurden dem Erdboden gleichgemacht. An Stelle des einen steht heute
das Siebziger-Jahre-Bauverbrechen der ehemaligen Volksbank, das diese
der Kommune als »Stadthaus 2« abgetreten hat. An Stelle des anderen
klafft
an
Stelle des abgebrochenen »Haus Jeidl« ein
unbedeutendes Plätzchen wie eine Lücke im Gebiss. Der Malzfabrik,
deren Turm wenige Meter weiter als ein Ausrufezeichen unfähiger
Innenstadtentwicklung zu einem traurigen Wahrzeichen der Gemeinde
wurde, wurde in jüngster Zeit an Stelle der nächsten beseitigten
Fachwerkhäuser
eine in Beton gegossene Rücksichtslosigkeit erlaubt, die jeder
Beschreibung spottet. Das Gelände des Unternehmens, das schon vor
Jahrzehnten hätte in die Ortsperipherie verlegt werden müssen,
umschließt mit Krakenarmen das heute kaum noch zu identifizierende
älteste Haus Pfungstadts, das ehemalige Pfarrhaus aus dem 16.
Jahrhundert.
Pfungstadt, Borngasse. Ehemaliges Pfarrhaus. Ältestes erhaltenes Haus der Stadt. |
Wieder wenige Schritte weiter gähnt ein gesichtsloser
Parkplatz am
Ort des
jüdischen Internats, das als städtisches »Armenhaus« zugrunde
gerichtet wurde und schließlich dem Bagger zugunsten eines
Parkplatzes weichen musste.
Pfungstadt, Mainstraße. Ehemaliges Jüdisches Institut. 1893 kurzfristig Wirkungsstätte Chaim Weizmanns, des späteren ersten Präsidenten Israels. |
Jetzt
soll ein weiterer Nagel in den Schandpfahl der
Stadtzerstörung eingeschlagen werden: die Reste der Ziegelsteinhalle
des Wasser- und Elektrizitätswerks, von der bereits vor Jahrzehnten
eine Hälfte weggeschafft wurde und die bisher allen »städtebaulichen
Initiativen« widerstand, sollen nun endlich verschwinden,
angeblichen Denkmalschutzauflagen geschuldet soll nur die Fassade
sinn- und funktionslos stehen bleiben.
Das ehemalige E-Werk in der Stadtmitte. Zustand noch mit dem (späteren) Schlauchtrockenturm, der inzwischen entfernt wurde |
Diese Baumaßnahme soll aus
Landesmitteln der Innenstadtsanierung finanziert werden, die der
Gemeinde bisher schon so nützliche Errungenschaften verschafft hat
wie die Pflasterung zahlreicher Straßen mit rotem Beton, auf dem
Gehbehinderte wanken und Rollstühle und Kinderwagen zu
unkontrollierten Aktionen neigen oder Bürgersteige, deren »Breite«
von kaum einem Meter unvermittelt auf weniger als 30 cm (!)
schrumpft.
Das
Gebäude, mit dem die Stadt um 1911 nicht nur die örtliche Wasser-
und Elektrizitätsversorgung organisierte, sondern das gleichzeitig
auch mittels eines Erdkanals die naheliegende Schule und eines der
ersten hessischen Hallenbäder (das übrigens als
Sporthalle über dem zugeschütteten Jugendstilbecken einen
Dornröschenschlaf schläft, der durchaus nicht unumkehrbar sein muss
...) mit Wärme versorgte, ist ein Industrie- und
stadtgeschichtliches Denkmal allererster Güte.
Dabei ist nicht in
erster Linie das kleine Verwaltungshaus schützenswert, das im Typus
des Pfungstädter Ziegelsteinbaus der Zeit durchaus ein ansehnliches
Gebäude darstellt, und auch nicht nur die immerhin als unbestritten
schutzwürdig anerkannte Hallenfassade, sondern ganz besonders die
bisher kaum oder gar nicht erwähnten Reste der eigentlichen
Industrieanlage: unter dem teils noch mit den originalen Kacheln
belegtem Fußboden der Halle verbirgt sich ein Kellerlabyrinth, das
Heiz- und Abluftkanäle, die Verbindung zu den gegenüberliegenden
Brunnen und den Zugang zum fast völlig erhaltenen Versorgungskanal
beherbergt.
Es steht außer Frage, dass gerade diese erhaltenen
Strukturen die Denkmalwürdigkeit der Anlage ausmachen,
auch wenn sie möglicherweise dem allgemeinen
Schönheitsempfinden nicht entsprechen. Es ist kein Zufall, dass
diese Keller in den bisherigen Diskussionen keine Rolle spielen -
tatsächlich können sie nämlich nicht nur die Abrisspläne der
Stadtverordneten, sondern auch die teils hochfliegenden Pläne der
Kulturzentrums-Befürworter erheblich behindern. Ernst genommener
Denkmalschutz muss von dem Industriedenkmal aber alles sichern, was
seine historische Verwendung dokumentiert. Dass bei der Sanierung des
Vorplatzes der evangelischen Kirche in den letzten Jahren der bis
dahin hundert Jahre lang stabile Versorgungskanal eingestürzt und
zerstört wurde, war
vermeidbar und ist
nicht zu verzeihen. Jetzt macht man
sich daran, das Zerstörungswerk fortzusetzen. Mit der Behauptung,
dabei gehe es »nur« um den Abriss einiger oberirdischer
Ziegelsteinwände, die den Erhalt nicht wert seien, wird dabei
der eigentliche Wert des Denkmals klein geredet oder bewusst
geleugnet.
Tatsächlich
hat Pfungstadt eine bewahrenswerte
Stadtgeschichte,
besonders
aus
den Jahren 1848 bis 1918, die für
die Industrialisierung Deutschlands sowohl
exemplarisch wie vorbildlich ist und immerhin an wenigen Stellen
erhaltene authentische Orte hat:
dazu gehören die Überreste des
kleinen Hallenbades ebenso wie das Maschinenhaus der Brauerei mit
den Teilen der großen Dampfmaschine, die die erste elektrische
Kühlung von Justus Hildebrands Brauerei betrieb,
Das Schwungrad der Dampfmaschine in der Maschinenhalle der Pfungstädter Brauerei |
die Villa, die sich
der Unternehmer Wilhelm Büchner 1862 auf dem Gelände seiner
»Blaufabrik« errichten ließ,
und eben das Wasser- und
Elektrizitätswerk mit allen Überresten der damals hochmodernen
Technik.
Es bleibt zu hoffen, dass die Denkmalschutzbehörden die
Stadtverordneten deutlich
an
ihre Pflichten erinnern. Mit der Halle des E-Werks und ihren
historischen Kellern verlöre Pfungstadt erneut ein Stück seiner
Geschichte. Und erneut würde noch nicht einmal Zukunftsweisendes an
seine Stelle treten - sondern nur Fassade.