Sonntag, 3. Juli 2016

Dreissigtausend Fadenenden - man webe hinein einen dreifachen Fluch!


Am 2.7. berichtet Annette Krämer-Alig im Dramstädter Echo über ein bedeutendes Kunstwerk der Region, seine Geschichte, seine Restaurierungsbedürftigkeit und über Bestrebungen, dem mittels Spenden beizustehen: „30 000 Fadenenden von acht Einzelteilen (sínd zu) einer 3,75 mal 2,25 Meter großen Leinwand säuberlich zusammenzuführen und zu verkleben. ... Damit die Arbeit vollendet werden kann, braucht es jedoch weitere Spenden, weshalb die „Freunde des Schlossmuseums“ weiter für ihr Projekt werben. So kann jeder symbolhaft einen Teil der alten Bergstraße „kaufen“: Auf der Internet-Seite bietet der Verein das Bild quasi in Stückchen an." („Die Fäden werden geknüpft”. DE am 2.7.2016)

Es geht um ein riesiges, beeindruckendes Bild von Johann Tobias Sonntag aus dem 18. Jahrhundert, das in einem sensationellen  Panorama den Blick vom Melibokus nach Westen dokumentiert.

„Landschaft und Kultur an der Bergstraße" hieß eine Veranstaltungsreihe der „Kulturstiftung für die Bergstraße”, die ich besucht und über die ich bisher nicht berichtet habe. Am 20. Januar referierte Dr. Rainer Maaß vom Darmstädter Staatsarchiv über „Prospekt von dem Meliboco und dessen Gegend“: das Gemälde des Darmstädter Malers Johann Tobias Sonntag von 1747 als Momentaufnahme der Landschaft. 

Die Präsentation des Restaurierungsprojektes im Januar 2016 im Zwingenberg.
Links und rechts Cristof Gebhardt und Christina Lange-Horn vom Schloßmuseums-Verein, 
mitte Prof. Dr. Joachim Felix Leonhard, Vorsitzender des Kuratoriums der Kulturstiftung für die Bergstraße  

Das außergewöhnliche Bild, das in der Tat eine kaum zu unterschätzende dokumentarische Bedeutung für die vordere Bergstraße hat und dessen Erhalt und Restaurierung jede Unterstützung verdient, befindet sich in der Obhut des Darmstädter Schlossmuseums, dessen rühriger Freundeskreis mit der witzigen Idee wirbt, einem selbst auszuwählenden bestimmten Stückchen ganz konkret zur Restaurierung zu verhelfen.

Nun wäre diesem Projekt, wie es Frau Krämer-Ahlig offenbar tut, von Herzen das Allerbeste zu wünschen und zu weiterer Unterstützung aufzurufen, wäre da nicht ein Hinweis, der bei nicht ganz geschichtsvergessenen Darmstädtern alle Alarmsignale läuten läßt: „1998 erhielt die Hessische Hausstiftung des einstigen Fürstenhauses Hessen es in beklagenswertem Zustand zurück” schreibt Frau Krämer-Ahlig. 20 Jahren hat es offenbar gebraucht, bis die schlaue Idee aufkam, die nötige Sanierung - sagen wir mal stiften gehen zu lassen. Die Hessische Hausstiftung hat sich in der Vergangenheit allerdings nicht gerade als verantwortungsvolle Wahrerin von Geschichte und - insbesondere - Kulturschätzen erwiesen, die dem Reichtum unserer Heimat entstammen (und welche aus Gründen in der Vergangenheit zu deren Privatbesitz wurden, die wir heute - sagen wir mal mit gewisser Distanz betrachten). 

Man stelle sich vor: das wunderbare Bild wird in absehbarer Zeit glänzend restauriert und als einzigartiges Dokument unserer Heimat präsentiert, um dann in den Schacher um die nächste Erbschaftssteuerangelegenheit einbezogen zu werden. 

Welcher verdienstvolle, vermögende, mäzenatische Privatsammler dann in die Bresche springen darf und den nächsten hessischen Schatz an die Wand seiner Trophäen nageln darf, ist dann eigentlich schon egal. 

Bei aller Sympathie für die Bewahrung des Bildes bleibt mir leider nur, die Öffentlichkeit dringend davor zu warnen, diesem Projekt auch nur einen Cent zu überlassen, solange das Eigentum daran nicht unwiderruflich und für alle Zeit einem kontrollierten öffentlichen Träger übergeben wurde. Es kann nicht angehen, dass Spenden zum Erhalt eines Kunstwerks an private Eigentümer geleistet werden, die dadurch ohne jede Verpflichtung auch noch wohlhabender werden als sie es ohnehin schon sind. 

Im Mai 2012 schrieb ich an anderer Stelle:

So. Jetzt sind wir zurück und haben einen wunderbaren Tag im schönen Schwäbisch Hall verbracht. Unbedingt eine Reise wert: schon der schöne Biergarten auf der Kocherinsel lohnt sich. Schließlich waren wir in der Johanniterhalle, wo Herr Würth seine unglaubliche Sammlung alter Meister zeigt.

Als Höhepunkt wird die Holbeinsche Schutzmantelmadonna präsentiert, und die Berichte über die Ausstellung hatten mich schon fast ein bisschen mit dem Schmerz des Verlustes und dem Ärger über die ignoranten nordhessischen Beutefürsten getröstet. Leider ist es nicht dabei geblieben. Das großartige Bild, dessen Fortführung in Darmstadt zu Recht auf großes Unverständnis gestoßen ist, wurde gründlich restauriert und ist heute hinter doppeltem Glas präsentiert. Auf mich wirkte es wie ein sensationell gut gemachtes - Dia. Alles, was Aura eines Kunstwerkes sein kann, ist hier verloren. Darüber hinaus kann ich mich des Gefühles nicht erwehren, dass Herr Würth nur eher zufällig keine Hirschgeweihe jagd, sammelt und an die Wand hängt, sondern alte Meister. So gesehen fehlt noch der durch das Bild geschlagene Nagel zum Aufhängen.


Die Darmstädter Madonna im Würth'schen Trophäensaal 

Trotzdem - die Darmstädter Madonna ist am falschen Platz.

Und dass zwar der nordhessischen Fürstenfamilie aufs eindringlichste gedankt wird (dafür, dass sie 60 Millionen angenommen haben?), aber der Name der Stadt Darmstadt an keiner Stelle erwähnt wird, ist auch kein Zufall.

Natürlich hängt da auch sonst noch atemberaubendes aus mehreren Jahrhunderten, und das Museum erlaubt dabei erfreulich nahe, eindringliche Wahrnehmung dieser Bilder.


Ich hoffe, dass ich ähnliches nicht eines Tages auch über den „Prospect von dem Meliboco” schreiben muss.