Sonntag, 19. Juni 2016

Ein Sonntag Nachmittag bei Lichtenberg

Der hier ja schon im Titel zitierte Georg Christoph Lichtenberg war der Sohn, und zwar das 1742 geborenes 17. (!) Kind, des Ober-Ramstädter Pfarrers Johann Conrad Lichtenberg (* 1689). Über dessen „Nebentätigkeit” als Architekt und Baumeister hat Martel Döring für den rührigen Verein für Heimatgeschichte im ehemaligen Rathaus eine Ausstellung eingerichtet.

Beginnend mit eben diesem Ober-Ramstädter Rathaus hat er seit 1732 sage und schreibe 12 Kirchen und 5 Profanbauten errichtet. Die Ausstellung stellt sie alle auf gut gemachten Text- und Bildtafeln vor und zeigt dazu in Vitrinen Schriftdokumente der Baugeschichte.

Häufig wurde Lichtenberg gerufen, wenn es galt, baufällige Gebäude zu ersetzen, und meist hat er Bestandteile der Vorgängerbauten erhalten - die Grundrisse und Kirchtürme blieben häufig (bis auf die neue Bedachung) unverändert.

Eine akademische Ausbildung zum Architekten gab es im 18. Jahrhundert noch nicht; Lichtenberg hat während seiner Studienzeit stets auch Vorlesungen im Mathematik, wo eben auch Baulehre unterrichtet wurde, gehört.

Einer seiner Bauten ist die Pfungstädter Kirche, zu der ein Dokument des letzten Zentgrafen H. H. Welcker gezeigt wird und die baulich bis heute unverändert blieb (wenn auch die farbliche Innenausstattung ganz anders wurde).

Zentgraf Welcker aus Pfungstadt beauftragt am 7. Mai 1751
einen Transport für den Kirchenbau in Pfungstadt 

Ich schätze von seinen Bauten ganz besonders die schöne Kirche von Neunkirchen,  die in ihrem Innerern so ganz besonders deutlich das Prinzip der protestantische „Predigerkirche” zeigt; die Bänke für die Gemeinde sind dort im Dreiviertelkreis um Altar und Kanzel angeordnet. Einzig dieser Aspekt fehlt der Ausstellung: Lichtenbergs Kirchen sind programmatisch protestantisch - Altar und Kanzel stehen im Zentrum der Gemeinde.

Neu war mir, dass auch das Darmstädter Waisenhaus von ihm errichtet wurde. In nur zwei Jahren, zwischen 1748 und 1750, entstand ein Bau, der von Struktur und Plan auf Lichtenbergs Kenntnis von den Gebäuden der Franckeschen  Stiftung in Halle zurückgeht.


Das schöne Modell des 1944 zerstörten Gebäudes
gehört zum Bestand des Ober-Ramstädter Heimatmuseums 


1831 wurde das Gebäude Heimstatt des „Pädagog”, des Darmstädter Gymnasiums, nachdem dessen ursprünglicher Bau, eben das „Pädagog” in unmittelbarer Nachbarschaft zu klein geworden war. Während Georg Büchner und sein Bruder Wilhelm noch im Altbau unterrichtet wurden, wurde dies die Schule der jüngeren Brüder Ludwig und Alexander. Es stand am heutigen Standort von Sporthalle und Sportplatz des „Ludwig Georgs Gymnasiums”.

Die Ausstellung ist ein schönes Ziel für einen Sonntag-Nachmittags-Ausflug nach Ober-Ramstadt und liefert ein gut recherchiertes Detail zur Familiengeschichte Lichtenbergs und zur bauhistorischen Heimatkunde. Ihr Besuch gehört übrigens auch zum Programm der bevorstehenden Jahrestagung der Lichtenberg-Gesellschaft vom 1. - 3. 7. 2016. Details zu Öffnungszeiten und der ebenfalls lohnenswerten Dauerausstellung finden sich hier. 




Dienstag, 14. Juni 2016

Was für ein Geburtstagsfest!


Die Darmstädter Luise Büchner-Gesellschaft hat zu Luise Büchners 195. Geburtstag am 12. Juni 2016 zu einer Benefiz-Veranstaltung für das geplante Denkmal für Luise Büchner eingeladen, bei der prominente Darmstädterinnen mit Texten der Jubilarin an Leben und Werk der frühen Frauenrechtlerin erinnerten.



Die Vereinsvorsitzende Agnes Schmidt



Die Vorsitzende Agnes Schmidt begrüßte im Darmstädter Literaturhaus eine erwartungsvolle Geburtstagsgesellschaft.

Alle vortragenden Frauen haben ihre eigenen Erfahrungen mit der Durchsetzung von Frauenrechten gemacht, und alle bemerkten, dass das Erreichte Frauen wie Luise Büchner zu verdanken ist.



Brigitte Zypries, Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium und gerade neu gewählte Vorsitzende der Darmstädter SPD

Brigitte Zypries las Luise Büchners Text über ihren ersten Berlin-Aufenthalt, bei dem sie noch vor der Reichsgründung in der preußischen Hauptstadt den Lette-Verein und seine Einrichtungen besuchte. Der heutige Sitz des Lette-Vereins in Berlin ist übrigens ein Gebäude, das ausgerechnet der Darmstädter Alfred Messel errichtet hat.

„Was sind alle Maschinen, alle Erfindungen der Neuzeit im Vergleich zu der lebendig wirkende Kraft menschlichen Geistes, der Jahrtausende lang brach gelegen und nun endlich seinem unnatürlichen Schlummer entrissen wird? Mag es Schwachheit sein, aber es ist für mich ergreifender und rührender, als irgend sonst etwas, wenn ich solch ein Haus betrete, wo die ersten schwachen Keime dieser geistigen Befreiung und Veredlung gepflegt und gekräftigt werden. Jetzt erst fängt man an, dieses geistige Kapital auch um seiner selbst willen zu schätzen, zu retten, nachdem abermals materielle Gründe oder die Not des Lebens den ersten Anstoß dazu gegeben haben. [...]”



Der heutige Bau des Lette-Vereins in Berlin am Viktoria-Luise-Platz,
errichtet 1901/2 von Alfred Messel







Ruth Wagner, Ex-Landesministerin,. Ex-MdL, Ehrenvorsitzende der hessischen FDP, Kuratoriums-Vorsitzende des Kulturfonds Frankfurt RheinMain

Ruth Wagner hatte selbst zwei Texte aus Luise Büchers „Die Frauen und ihr Beruf” ausgewählt. Neben der Aufforderung an junge Frauen, sich durch Lernen auf das Leben vorzubereiten, trug sie noch ein schönes Zitat zur „ledigen Frau” vor, das sie selbst mit dem Hinweis ergänzte, wie sinnvoll und erfüllend gerade für Ledige die Familienrolle der „Gode” - der Patentante - sein könne. Eine Rolle, die bei den Büchners unseres Wissens eher Mathilde eingenommen hat; allerdings sind Luise Büchners schöne „Weihnachtsmärchen” wohl aus dem Erzählen für Ludwig Büchners Kinder Georg und Mathilde entstanden.


„O, ihr rosigen Kinder, euren Frohsinn und eure Heiterkeit möchten wir um keinen Preis der Welt euch rauben, ihr sollt Rosen in´s Haar flechten und das weiße Gewand tragen, aber darunter die Rüstung der Pallas Athene.“

Karin Wolff, Ex-Ministerin, MdL 

Karin Wolffs Text von Luise Büchner beschäftigte sich mit Mädchenbildung - „ausgerechnet”, wie die frühere Kultusministerin lächelnd bemerkte.


„So wagen wir denn zu behaupten, dass meist nur der Schein der Bildung an den Ausgangspforten fast aller unsrer höheren weiblichen Institute und Schulen zu finden ist und noch dazu häufig mit einer unangenehmen Prätension verbunden. Selbst der Einwurf, dass es überall wirklich gebildete Frauen gäbe, kann hier nicht gelten. Die strebenden und denkenden Frauen sowohl unserer als früherer Tage, verdanken ihre gründlichere Bildung nur in den seltensten Fällen der Belehrung, die sie in der Schule empfingen. Entweder war ihnen dieselbe durch glückliche häusliche Verhältnisse vermittelt, oder sie haben sie sich erst später durch eigene Kraft und Anstrengung erworben, mit manchem vorwurfsvollen Rückblick nach der schlecht genützten Schulzeit und manchem sauren Schweißtropfen des früher Versäumten nachzuholen. Diese Beispiele könnten den hinlänglichen Beweis liefern, dass der Fehler keineswegs in der weiblichen Natur überhaupt zu suchen ist, wohl aber darin, dass man dieser Natur nicht auf die richtige Weise entgegenkommt.”



Daniela Wagner, Ex-MdB, Vorsitzende der hessischen Grünen

Daniela Wagner trug Luise Büchners späten Bericht über studierende Frauen in Zürich vor. Kenner ihres Werkes konnten hier besonders deutlich wahrnehmen, wie sich Luise Büchners Haltung zur „Eignung” von Frauen für verschiedene berufliche Tätigkeiten mit ihren Erfahrungen und Erkenntnissen entwickelten: noch heute wird sie häufig für ihr Lob des „Hausfrauentums” gescholten, das sie allerdings von Anfang an zu professionalisieren suchte, während sie doch tatsächlich immer eine Protagonistin weiblicher Berufstätigkeit war.


„Nicht auf das, was geschieht, sondern wie es geschieht, kommt es hier an, denn ich teile durchaus nicht die Ansicht, welche vor einiger Zeit wieder ein gelehrter Herr Professor in einem Vortrag in Rostock über das Studium der Medizin geltend gemacht hat, dass es für die kurze Zeit unserer Lebensdauer kaum angemessen und nicht der Mühe wert sein dürfte, Frauen vermeintlich vollkommener zu machen, als sie bereits seien. Nach Jahrtausenden will er sich die Sache eher gefallen lassen, denn er meinte, einen Satz des alten Turnvaters Jahn zitierend: Alles, was so ist, wie es sein soll, muß so bleiben, wie es ist. Ein schöner Grundsatz, von dem nur zu bedauern, dass ihn nicht schon Adam und Eva im Paradies gekannt und befolgt hatten und den bewussten Apfel am Baum hängen ließen. Aber der Apfel blieb nicht und so wird auch unsere Generation schwerlich noch einige Jahrtausende warten, um Begünstigungen zu erstreben, die ihr jetzt begehrenswert erscheinen. Wahrlich, die Frauen haben lange und geduldig genug darauf gewartet, bis man hier und dort endlich anfängt, ihnen die freie Disposition über ihre geistigen Kräfte zuzugestehen. [...]”



Kerstin Lau, Fraktionsvorsitzende von „Uffbasse” im Darmstädter Stadtparlament

Kerstin Lau las einen kämpferischen Aufruf Luise Büchners zur Erkämpfung und Verteidigung des Rechtes aller Frauen auf Bildung und Berufsausübung.


„Die Frau soll hinfort von keiner Art der Arbeit, sei sie mechanischer oder geistiger Natur, mehr ausgeschlossen sein, für welche sie ihre Befähigung tatsächlich erwiesen hat. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es zweier Wege: einen, der ihr den Eintritt in solche Arbeitsgebiete eröffnen wird, die ihr bis dahin noch verschlossen waren, den andern, welcher sie für jede Art der Arbeit genügend vorbildet und erzieht. In diesen zwei einfachen Sätzen konzentriert sich zunächst alles, was für die Lösung der „Frauenfrage“ zu tun ist. – Bis zu welchem Grade diese Frage, sowie die von der künftigen sozialen Stellung der Frau von höchster Bedeutung geworden ist, und wie sie die ganze zivilisierte Welt in Bewegung setzt, wie sie selbst die vorzugsweise romanischen Länder, Spanien und Italien ergriffen hat, beweist der Umstand, dass in Italien bereits seit dem vorigen Jahr ein Blatt ins Leben trat, unter dem Titel: La Donna, die Frau. Auch in Deutschland ist unsere Zeitschrift nicht das erste in seiner Art, in der umfassenden Weise jedoch, wie wir es auszuführen hoffen, noch neu. Gestützt auf den Vereinsverband, welcher sich bei der im Spätherbst 1869 zu Berlin stattgehaltenen Frauenkonferenz begründet hat, tritt der „Frauenanwalt“ ins Leben mit der klaren und festen Tendenz, fern von jeder Phrasenschneiderei und jedem Aufstellen unnützer Theoreme, die wirkliche Bedürfnisse des weiblichen Geschlechts ins Auge zu fassen und jene Erfahrungen zu verbreiten, welche zu der praktischen und endgültigen Lösung der aufgeworfenen Fragen führen.”



Sigrid Schüttrumpf, Schauspielerin am Staatstheater Darmstadt

Sigrid Schütrumpf schloss die Vorträge mit dem Nachruf der Frauenrechtlerin Marie Calm auf Luise Büchner, „der rüstigen Vorkämpferin für Frauenbildung, der begabten Dichterin, der edlen, liebenswürdigen Frau”.











Die Deutsch-Niederländische Pianistin Susanne Hardick

Mehr als eine Begleitung war das Klavierspiel der wunderbaren Susanne Hardick, die mit hervorragend ausgesuchter Musik und kraftvollem Spiel brillierte.


Schließlich sprach die frühere Lehrerin Gisela Scheiber, Präsidentin der Darmstädter Soroptimist International, darüber, wie sehr sie dieser Nachmittag angeregt hat, sich mit Luises Büchners Werk und dessen manchmal verblüffender Aktualität auseinanderzusetzen. Sie überbrachte neben Grüßen eine Geldspende ihres Vereins von 1.500 €, die bei einem Flohmarkt und der Versteigerung eines Bildes für das Projekt „Ein Denkmal für Luise Büchner” zusammengekommen sind. 


Gisela Scheiber, Präsidentin von Soroptimist International Darmstadt, übergibt einen Spendenscheck




Gisela Scheiber und Kerstin Kranich (links) mit dem erfolgreich versteigerten Bild der Künstlerin Barbara Bredow



Mit der erfolgreichen Veranstaltung wurde ein wichtiger Meilenstein für die nötige Finanzierung des geplanten Denkmals gesetzt. In den nächsten Wochen werden Vorstandsmitglieder die beauftragte Künstlerin in Berlin aufsuchen und den Entwurf mit ihr besprechen; im Herbst wird die Werbung für die Finanzierung fortgesetzt und voraussichtlich zum Gründungsjubiläum der Darmstädter Alice-Vereine im Sommer 2017 kann das Denkmal errichtet werden. 


Die Luise Büchner-Gesellschaft in Darmstadt widmet sich seit 2010 der  

  • Forschung und Publikation zur Geschichte der Frauen,
  • Erhaltung und Pflege des Werkes der Schriftstellerin, Journalistin und Frauenpolitikerin Luise Büchner,
  • Pflege der Erinnerung an das Leben und Werk der Geschwister von Georg Büchner
  • Förderung der Luise-Büchner-Bibliothek des Deutschen Frauenrings e.V. durch Beschaffung wichtiger Werke zur Frauengeschichte.
Herzlich willkommen sind neben Spenden für das Denkmal-Projekt auch ständig neue Mitglieder, die damit das reichhaltigeVeranstaltunsgprogramm (in Kürze erscheint das Angebot II/2016) unterstützen (und vergünstigt besuchen können).

Sonntag, 5. Juni 2016

Hin, bevor sie weg sind! „Das imaginäre Museum” im Frankfurter mmk2


Das Frankfurter Museum für Moderne Kunst ist Darmstädtern ja schon deshalb dringend zum regelmäßigen Besuch anzuraten, weil es als Grundstock eine Sammlung beherbergt, die ihnen wegen Ignoranz und Dilettantentum verloren ging. Es war nämlich bekanntlich nicht gelungen, binnen mehr als einem Jahrzehnt das den Ströhers als Dauerleihgeber versprochene, angemessene Ausstellungsgebäude zu errichten. Als schließlich der ungeliebte „Kargel-Bau” doch noch fertig wurde, waren die Bilder bereits abgezogen und schmücken heute das „Tortenstück” des Museums für Moderne Kunst - mmk - im Schatten des Frankfurter Doms.



Cooler Eingang im coolen Café zur coolen Ausstellung


Seit einiger Zeit unterhält dieses tolle Museum auch noch zwei „Dependancen” als mmk2 (mehr unten) und mmk3 (direkt gegenüber im ehemaligen Frankfurt Hauptzollamt). Zur Entstehung heißt es auf der Website:


„Die Immobilienentwickler des TaunusTurms haben dem MMK diese Fläche für 15 Jahre miet- und nebenkostenfrei zur Verfügung gestellt. Die Kosten für den Betrieb der neuen Dependance übernehmen die Gründungspartner des MMK 2 und weitere private Förderer. Damit ist das MMK 2 ein innovatives und ökonomisch nachhaltiges Modell der Museumserweiterung, das aus vorhandenem Raum und mit vereinten Kräften starker und engagierter Partner etwas Neues entstehen lässt. ... Die neue Dependance des MMK, das MMK 2, präsentiert im TaunusTurm zweimal im Jahr wechselnde Ausstellungen mit Werken aus der Sammlung unter aktuellen thematischen Schwerpunkten. Künstlerische Arbeiten aus den umfangreichen Beständen des MMK werden zu aktuellen Fragestellungen in Beziehung gesetzt und mit Neuproduktionen ergänzt. Dieses speziell für das MMK 2 entwickelte Ausstellungsformat bewegt sich zwischen Sammlungspräsentation und temporärer Themenausstellung. Der Ausstellungswechsel nach sechs bis acht Monaten erlaubt die Entwicklung vielfältiger Szenarien und bietet langfristig die Möglichkeit, die vielen verborgenen Schätze der Sammlung sichtbar zu machen und sie in neue Zusammenhänge zu stellen.”


Ich weiß nicht, ob und wie dieses Modell auch Kritik verdient hat; der Ort präsentiert sich jedenfalls ganz wörtlich „cool” mit Zugang durch ein ebensolches Café, in dessen Hintergrund ein Aufzug in den zweiten Stock transportiert. Dort habe ich gestern die Ausstellung „Das imaginäre Museum” gesehen. Auf der Museumswebsite heißt es:

„Den konzeptuellen Ausgangspunkt für diese Ausstellung bildet eine Zukunftsvision: Wir schreiben das Jahr 2052. Die Museen sind von der Auslöschung bedroht und die Kunst verschwindet aus der Gesellschaft. Vor dem Hintergrund eines solchen Science-Fiction-Szenarios werden über 80 Hauptwerke der zeitgenössischen Kunst vereint. Drei große europäische Sammlungen verbinden sich zu einem transnationalen Museum auf Zeit. Die Bandbreite der gezeigten Werke reicht von bedeutenden künstlerischen Positionen aus den 1920er-Jahren bis in die jüngste Gegenwart. Unter anderem sind Arbeiten von Louise Bourgeois, Marcel Duchamp, Isa Genzken, On Kawara, Claes Oldenburg, Sigmar Polke, Bridget Riley, Andy Warhol und vielen mehr zu sehen.
Die Ausstellung ist inspiriert von Ray Bradburys 1953 erschienenem Science-Fiction-RomanFahrenheit 451 und dessen legendärer Verfilmung von François Truffaut. Bradbury entwirft das Bild einer Zukunft, in der literarische Werke aus der Gesellschaft verbannt sind. Die einzige Möglichkeit, sie für nachfolgende Generationen zu bewahren, liegt darin, die Werke zu erinnern. Die AusstellungDas imaginäre Museum führt in eine Zeit, in der die präsentierten Kunstwerke kurz vor ihrer Vernichtung stehen. So wie Bradburys „Büchermenschen“ die literarischen Werke nur durch Auswendiglernen vor dem Verschwinden bewahren können, lädt die Ausstellung die Besucher dazu ein, sich die gezeigten Werke einzuprägen. Die Betrachter können sich die Werkbeschriftungen mitnehmen und um ihre persönlichen Erinnerungen in Form von Skizzen, Notizen oder Zeichnungen ergänzen.
Der Ausstellungstitel verweist auf das „Musée imaginaire“ des französischen Schriftstellers und Politikers André Malraux (1901–1976), der die These vertrat, dass sich ein jeder durch die fotografische Reproduktion von Werken sein persönliches Museum zusammenstellen könne – losgelöst von Zeit und Raum. „Das imaginäre Museum“ schafft, so Malraux, eine Kunst der Fiktion, in der die Wirklichkeit wie in Romanen von der Fantasie abhängig ist.”


Ich war schon im Vorfeld von der Idee beeindruckt, Bradburys Idee von den „lebenden Büchern” auf Bilder zu übertragen, und finde sie ganz hervorragend umgesetzt. Die leihgebenden Museen sind ein Garant dafür, dass hier Erstklassiges gezeigt wird, und dass Claes Oldenburgs „Soft Typewriter. Ghost Version” und Warhols „100 Campbell's Soup Cans” die Provenienz „Ehemalige Sammlung Karl Ströher, Darmstadt" tragen, kann dann - s.o.- zugleich melancholisch und auch ein bisschen stolz („kenn' ich seit Jahrzehnten ...”) machen.




Blick in die Ausstellung. Rechts Sigmar Polkes „Potato Machine”,
links Boettis „Order and Disorder”,
im Hintergrund Ron Muecks befremdlicher Teenager 





Boetti, Order and Disorder, Detail

Uns Laien werden die Kunstwerke und ihre Bedeutung auf eine unbedingt weltweit kopierwerte Art ganz wörtlich nahe gebracht: Fotografieren ist erlaubt, und die Beschreibung ist auf Abreißblöcken zum Mitnehmen gedruckt, was neben dem „getrost nach Hause tragen können” den weiteren ungeheuren Vorteil hat (besonders gegenüber uns, die gerade vom Gegenteil besucherfreundlicher Beschilderung im Liebieghaus kamen): es bedarf zum Lesen weder Verrenkungen noch eines Vergrößerungsglases! In einem Video stellt der Kurator Peter Gorschlüter hier auf youtube die Ausstellung und ihr Programm ausführlich vor.



Bildbeschreibung als Abreissblock - 
das will ich immer und überall haben! 


Bis zum September werden jetzt also Stück für Stück dieser außergewöhnlichen Kunstwerke materiell verschwinden und danach in Frankfurt nur bestehen bleiben können, wenn sich Menschen finden, die sie „imaginieren” im wunderbar-wörtlichen Sinn dieses schönen Wortes.

Neben Begleitveranstaltungen, bei denen unter anderem die Kunst des Erinnerns gelehrt werden soll, können sich alle Interessierte hier als „Bildermensch” bewerben und damit Teil dieser Idee werden.

Und zur Unterstützung in den „sozialen Medien” sollen Besuche und Eindrücke den Hashtag

  #ImaginedMuseum 


tragen - bitte sehr!

Allen McCollum: Plaster Surrogates

Nachtrag am 13. 9. 2016: 

Zum Finale schreibt Sandra Danicke hier in der Frankfurter Rundschau:

Man versucht, sich zu erinnern und vergleicht das Ergebnis mit den Werkbeschreibungen, die noch immer als Zettel an den Wänden hängen. Die Bilanz fällt beschämend aus. Viel mehr als man dachte, hat man vergessen.” 







Im Liebieghaus: Triumph der Bilder - Fotografieren verboten

Ich habe es gestern auf Facebook ja schon kurz erwähnt: an der Ausstellung im Frankfurter Liebieghaus ist natürlich zu kritisieren, dass sie ausgerechnet unter dem Titel „Triumph der Bilder” - das Fotografieren verbietet.
Eingang zum Museum Liebieghaus, Frankfurt -
"Legt ab, Ihr Sterblichen,
alles, womit Ihr Euch Bilder machen könntet"

Blöderweise sind außerdem die Beschilderungen mal wieder auf eine regelrecht besucherverachtende Art gestaltet und angebracht. Es geht einfach nicht an, Ausstellungsgegenstände so gedankenlos zu beschildern. Eine 2 Meter große Statue am Sockel (!) in schätzungsweise 12 Pt. kleiner Schrift, weiß auf schwarz, zu „beschreiben”, heißt doch eigentlich „Es ist mir scheißegal, ob Ihr das lest. Leiht Euch halt nen Audioguide!” (der allerdings so profane Informationen wie Alter und Provenienz der Gegenstände sowieso nicht bietet).

Dazu kommt, dass - unabänderlicherweise - ein Großteil der Statuen eben nicht die verlorenen griechische (Bronze-)Originale, sondern griechische oder römische (Marmor-)Kopien sind. Dann aber bei der Beschriftung zwar die Epoche, gerne auch den Künstler des Originals zu nennen, die Kopie aber nicht zu datieren, ist einfach unprofessionell. Und ob die ausgestellten Gegenstände wirklich das schummerige Licht benötigen, das offenbar Stimmung erzeigen soll, wage ich zu bezweifeln. Die marmornen Statuen, erst recht die - zahlreichen - gipsernen Kopien brauchen das jedenfalls nicht, und auch die amateurhaften Videos, die über manche Wände huschen, sind mehr als entbehrlich.

So. Trotzdem ist die Ausstellung eine Reise wert, und das „Digitorial”, das zur Einstimmung und Vorbereitung angeboten wird, erläutert ganz hervorragend, worum es geht. Auf der Website heißt es:  
Die große Sonderausstellung „Athen. Triumph der Bilder“ eröffnet einen völlig neuen Blick auf die wirkmächtige Bilderwelt des hochklassischen Athen sowie dessen Prozessionen, Opfer und Feste – und erzählt zugleich den faszinierenden Gründungsmythos der Stadt.
Dieser Mythos drehte sich um das Leben des Erechtheus und seiner jungfräulichen Mutter Athena. Er bestimmte den Zyklus des attischen Kalenderjahres und seiner Rituale: vom Geburtsfest des späteren Königs von Attika bis zur Feier seines Opfertodes. Die Märchen schrieben sich aber nicht nur in die Zeremonien der Stadt ein. Sie bildeten auch den Ausgangspunkt für ein gewaltiges Kultur- und Bildprogramm – das bis heute vielleicht ehrgeizigste der westlichen Welt.
In einer dichten szenografischen Inszenierung durchläuft der Besucher zwölf Räume und damit die zwölf Monate des attischen Kalenders. Die Ausstellung versammelt über hundert bedeutsame Leihgaben aus den großen Sammlungen, etwa des British Museum, des Louvre oder der Vatikanischen Museen. Antike Mythen und Kulte werden anhand von grafischen und medialen Elementen zusätzlich lebhaft illustriert. Das hochklassische Athen und die Kulturlandschaft Attikas präsentieren sich so in ihrer ganzen urtümlichen Kraft.

Ja. Athen als Ergebnis des Masterplanes von Perikles und und Phidias mittels der religiösen Deutung des Jahreskreises zu präsentieren, gelingt überzeugend. Dazu kommt, dass die Rekonstruktion der beiden wunderbaren nackten Griechen, die überzeugend als  Erechtheus und Eumolpos, die Gegner im eleusinischen Krieg, gedeutet werden, einfach überwältigend ist (das oben verlinkte „Digitorial” zeigt in einer sehr guten Animation, wie die originalen Bronzenstatuen zur Rekonstruktion werden). Vielleicht ist es ja sogar besser, dass hier niemand auch noch fotografisch dokumentiert meinen ruinierten Altmännerkörper inmitten dieser Schönheiten bemittleiden muss. 

Und die paar Kleinigkeiten machen wir nächstes Mal besser, ok, Liebieghaus?