Dienstag, 10. März 2015

In der Frankfurter Schirn: Künstler und Propheten

Die Frankfurter Schirn zeigt

KÜNSTLER UND PROPHETEN. EINE GEHEIME GESCHICHTE DER MODERNE 1872-1972
6. MÄRZ – 14. JUNI 2015


Ich war sehr neugierig auf die Austellung und hatte mich in Gedanken auf eine ziemlich textlastige Präsentation vorbereitet.  Immerhin hatte ich von den „Inflationsheiligen” schon so viel gehört, dass ich „Monte Verita” und Hermann Hesse damit in Verbindung bringen konnte. Eine Verbindung zur bildenden Kunst war mir dagegen nicht bekannt.

Pamela Kort hat in der Schirn schon mehrfach Projekte kuratiert, zuletzt „Eugen Schönebeck – 1957 – 1967, Schirn Kunsthalle Frankfurt (February – May 2011)” und „I Like America: Fictions of the Wild West, Schirn Kunsthalle Frankfurt (September 2006 – January 2007)”.

Hier schickt sie uns Besucher in eine Präsentation, die zunächst in als Kabinette angeordneten Abschnitten der Ausstellung Leben und Werk einzelner Künstler präsentiert. Wem nicht mindestens die Grunddaten Deutscher Geschichte von 1871 bis 1971 bekannt sind, wird Mühe haben, sich die aussergewönlichen Figuren und ihr Leben zu sortieren. Tatsächlich ist einiges an Drucksachen und Fotografien in Vitrinen präsentiert, an den Wänden dazu kurze Einführungen zu Leben und Wirken. Ich hätte aber lieber noch mehr gelesen (und hatte mir ganz gegen meine Gewohnheit in der Hoffnung auf Hintergrundinformationen einen Audioguide ausgeliehen, der diese Hoffnung aber nicht erfüllte). Ein Zugang zu den Beweggründen der Künstler fehlt ebenso wie ihre Einordnung in die gesellschaftspolitischen Strömungen der Zeit.

Der Eingang zur Ausstellung führt durch einen labyrinthisch verschachtelten Gang, dessen Wände weit oben mit Teilen von Diefenbachs Fries "per aspera ad astra" geschmückt sind.

Teil des Frieses "per aspera ad astra" von Karl Wilhelm Diefenbach (1892)

Teil des Frieses "per aspera ad astra" von Karl Wilhelm Diefenbach (1892)

Teil des Frieses "per aspera ad astra" von Karl Wilhelm Diefenbach (1892)


Schon hier - und später an anderen Stellen erneut - konnte ich übrigens die Überlegung nicht vermeiden, wie lange es noch dauern wird, bis die (hier tatsächlich fast aufdringliche) Verherrlichung des jungen, gerne nackten, Kindes als Sinnbild von Reinheit und unverdorbener Natürlichkeit (mal wieder) nicht mehr öffentlich gezeigt werden kann.  „Nackte Kinder in nicht das Geschlecht in den Mittelpunkt stellenden Posen” (wir haben diesen Begriff in den letzten Monaten lernen müssen) gibt es hier jedenfalls zuhauf.

Die frühen Künstler, Karl Wilhelm Diefenbach, Gusto Gräser, Johannes Baader, Gustav Nagel, Friedrich Muck-Lamberty sowie Ludwig Christian Haeusser sind jeder einzelne so aussergewöhnlich und von messianischer „Geschicktheit” erfüllt, das ihr Leben durchgeknallter nicht erfunden werden könnte. Ob das beim Einzelnen eher bewusst gewählte künstlerische Attitüde, eine leichte Form des Wahnsinns oder nur zynisch berechnende Spekulation auf Lebensunterhalt war, wird nicht hinterfragt.

Baader z.B. tritt 1922 auf der Jugendburg Ludwigstein auf:

„Ich bin der Oberdada und werde die Geschicke der Burg in meine Hand nehmen.
Wo kann ich schlafen, und wann wird hier gegessen?"


Aufruf zur Ausrufung Baaders zum Präsidenten des Erdballs, Berlin 1919
Zusammen mit den Berliner Dadaisten um Grosz und Huelsenbeck annonciert er 1919 seine Ausrufung zum Präsidenten des Erdballs. Dass er sich auf Ernst Haeckel, den Zoologen, Darwinisten, Evolutionstheoretiker und Begründer des Deutschen Monistenbundes bezieht, hätte ich wie so viele andere „Bezüge” der Künstler in dieser Ausstellung, gerne ausführlich erläutert gesehen. Gusto Gräser („nennt mich Gras”), Friedrich Muck-Lamberty und Ludwig Christian Haeusser ziehen in mönchischen Gewändern durch Deutschland und predigen ein vegetarisches „zurück zur Natur” (sich den küftigen Führern hingebende Damen werden gelegentlich gerne genommen). 

Bei wikipedia finde ich zu Baaders weiterem Leben:
In der unsicheren Zeit hatten religiöse Schwärmereien zugenommen, und es war 1930 in Thüringen ein Kongress der verschiedenen vermeintlichen Christus-Wiedergänger der Zeit (die sogenannten Inflationsheiligen) und ihrer Anhänger veranstaltet worden. Baader flog mit einem Flugzeug der Lufthansa auf das Gelände, hatte einen großen Auftritt als wahrer Christus und verließ den Ort und die sprachlosen Anwesenden wieder. Seit 1941 arbeitete er wieder als Architekt.
Johannes Baader starb im Alter von 79 Jahren 1955 in einem Altersheim in Niederbayern.
1920 zieht  Friedrich Muck-Lamberty mit einer Art Kinderkreuzzug durch Thüringen; Hermann Hesse hat das in „Morgenlandfahrt” 1932 verewigt.

Mit Egon Schiele beginnt in der Ausstellung die Reihe der Künstler, die ihr „Prophetentum” (etwas) weniger ausdrucksstark lebten. Kort zählt auch ihn, Heinrich Vogeler und die Nachkriegskünstler Beuys, Immendorff und Hundertwasser dazu. Das bereichert die Ausstellung jedenfalls mit einigen großartigen Bildern.

Egon Schiele: „Frontal knieender weiblicher Akt” und „Männlicher Akt”. 1912

Vogelers Agitationsbildern stellt die Ausstellung eine Serie von Immendorff-Tölpeleien gegenüber, die ich mich in den Siebzigern gemalt zu haben bis heute schämen würde,

Heinrich Vogelers „Agitationsbilder”, rechts „Winterkulturkommando” von 1924   








Jörg Immendorff „Agitprop”


und zwar sowohl des agitatorischen wie des künstlerischen Ausdrucks wegen, und obwohl ich gestehe, einmal aus agitatorischen Gründen einen Streusselkuchen gebacken zu haben, auf dem mit Kakaostreusseln geschrieben stand „Omans Volk braucht Schulen” ...

Ich bedaure nicht, die Ausstellung gesehen zu haben, vermisse aber die stringente Verbindung zumindest zu den Nachkriegskünstlern; hier scheint mir der Zusammenhang ein wenig herbeigezogen zu sein. Und unter welchen Umständen, welchem eigenen Selbstverständnis und mit welcher gesellschaftlichen Reaktion die Gurus der zwanziger Jahre Deutschland unsicher machten, werde ich mir noch an anderer Stelle „anlesen” müssen. So bleibt der Ausstellungsbesuch eine Anregung, aber das ist ja schon mehr, als was von manch anderer gesagt werden kann.

Der 500-Seiten-Katalog, den die Kuratorin ganz alleine geschrieben hat, war mir für 38 € (Ausstellungspreis, Ladenpreis 58 €) zu teuer; wikipedia nennt den vergriffenen Band „Ulrich Linse: Barfüßige Propheten. Erlöser der zwanziger Jahre” 1983 bei Siedler erschienen und leicht antiquarisch zu finden, als Quelle.

 Die Feuilletons brachten anlässlich der Eröffnung zwei sehr unterschiedliche Besprechungen: Annette Krämer-Alig beklagt im Darmstädter Echo  die „schwache Argumentationslinie” der Ausstellung, Julia Voss dagegen lobt hier in der FAZ „Und es ist endlich eine Schau, die sich etwas traut, endlich eine Schau, die eine neue, eigene, ganz andere Geschichte erzählt.”

Ich stehe nicht an, beiden zuzustimmen: Frau Krämer-Alig hat recht, weil die  „Neuen” sich doch auf ganz andere Bezüge beriefen als die 20-Jahre-Propheten, und Frau Voss hat recht, weil die Ausstellung es wagt, biografische Information gleichwertig neben die Präsentation von nicht immer erstklassiger Kunst zu stellen (auch wenn das noch nicht perfekt gelungen ist).

Einen Besuch aus dem Rhein-Main-Gebiet ist die Ausstellung allemal wert.

Nachtrag vom 7.4.:

Ulf Erdmann Ziegler hat die Ausstellung besucht und für die taz gründlich und sehr kritisch besprochen: „Da ist durchaus etwas an der Rückseite utopischer Bewegungen, ein patriarchaler Wahn, der einen stutzig macht. Man sollte das, wenn man irgend kann, benennen. "Künstler und Propheten" verklärt durchgeknallte Christusgurus zu Präfigurationen sensibler Künstlerschaft. Das ist Irrsinn. Diese Ausstellung zeichnet den Diskurs der Sektierer nicht nach, sie sitzt ihm auf.”